Seele in der Krise 28.01.2021
Vom Umgang mit der Pandemie am Landeskrankenhaus Rankweil.
Der Kampf gegen Corona stellt das Schwerpunktkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie vor besondere Herausforderungen. Die Mitarbeitenden stehen ihren Patientinnen und Patienten zur Seite, meistern Hürden im Therapie- und Pflegealltag – und kommen dabei selbst an ihre Grenzen.
In den Vorarlberger Spitälern ist es spürbar ruhiger geworden. Der seit dem Höchststand im November sinkende Trend bei Neuinfektionen und Hospitalisierungen hat sich im neuen Jahr weiter fortgesetzt. Der befürchtete Anstieg der Infektionszahlen infolge der Weihnachtsfeiertage blieb aus. Derzeit werden noch 47 Covid-Erkrankte stationär versorgt, elf davon intensivmedizinisch. Die Entwicklung der Infektionslage erlaubte weitere Schritte in Richtung Normalbetrieb, so die guten Neuigkeiten von Direktor Dr. Gerald Fleisch, Geschäftsführer der Vorarlberger Krankenhaus-Betriebsgesellschaft (KHBG): „Noch im Laufe dieser Woche werden alle Krankenhäuser den Vollbetrieb ihrer OP-Säle aufnehmen.“
Zwischen Entschleunigung und Depression
Als Zentrum für Psychiatrie und Neurologie nimmt das Landeskrankenhaus Rankweil eine Sonderrolle in der heimischen Gesundheitsversorgung ein. Betreut werden hier viele Menschen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung aus dem Tritt gekommen sind. „Unsere Aufgabe ist es, sie auf dem Weg zurück in den Alltag zu unterstützen“, sagt Chefarzt Primar Dr. Jan Di Pauli.
Als das Virus vor knapp einem Jahr Europa erreichte und Österreich in den Lockdown ging, wusste man auch in Rankweil nicht, was auf das LKH zukommen würde. Zuerst einmal nahm die Zahl neuer Patienten jedoch überraschend ab. „Alles war neu, unbekannt. Menschen am Rande des Burnouts erlebten fast eine gewisse Entschleunigung“, erinnert sich Primar Dr. Di Pauli. Das und der Umstand, dass niedergelassene Ärzte ihre Patientinnen und Patienten möglichst lange selbst behandelten, habe zu deutlich weniger Neuaufnahmen in Rankweil geführt. „Mit Fortschreiten der Pandemie haben wir allerdings festgestellt, dass sowohl Depressionen als auch Alkohol- und Suchterkrankungen zunehmen.“ Aktuell verzeichnen die Ambulanzen wieder mehr Zulauf. Und häufig hängt der Auslöser unmittelbar mit Corona zusammen – sei es in Folge sozialer Isolation, des Verlusts des Arbeitsplatzes oder der hohen körperlichen und psychischen Belastung gewisser Berufsgruppen.
Die Corona-Krise hat die Rahmenbedingungen in Rankweil förmlich über Nacht verändert. So mussten Therapien und Angehörigengespräche eingeschränkt beziehungsweise telefonisch durchgeführt werden. „Uns sind auch wichtige sozialpsycholgische Werkzeuge weggefallen“, verdeutlicht der Chefarzt und verweist auf Wochenendausgänge, die bislang bei der Beurteilung halfen, wie gut sich Betroffene außerhalb des Krankenhauses zurechtfinden. Zudem erschwert das Maskentragen die Arbeit mit den Klienten. „Das Gesicht nur zur Hälfte zu sehen, macht es für uns Psychiater ganz schwierig, die Psyche eines Menschen einschätzen zu können“, so Prim. Dr. Di Pauli. Umgekehrt würden auch viele Patientinnen und Patienten, speziell verwirrte Menschen, massiv darunter leiden.
Intensivere Pflege mit reduzierten Ressourcen
Auch Besucherregelungen haben in Rankweil weitreichendere Auswirkungen als anderenorts. „Unter unseren Klienten sind vergleichsweise viele Langlieger“, erklärt Pflegedirektorin Elke Kovatsch, MSc MBA. So würden Schlaganfallpatienten auf Reha mitunter über mehrere Wochen betreut. „Plötzlich gar keinen Besuch mehr zu bekommen, wie im ersten Lockdown, oder nur noch einmal wöchentlich von einer Person, stellt eine emotionale Belastung dar.“ Für ihre Mitarbeitenden, die so nah am Menschen sind, sei es „nicht einfach mitzuerleben, wie sehr die Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen unter all diesen Einschränkungen leiden, und ihnen dabei keinerlei Perspektiven aufzeigen zu können.“
Hinzu kommt, dass der Aktionsradius drastisch verkleinert wurde. „Früher war das Üben von Alltagssituationen, vom Verhalten in Gruppen bis zum Busfahren, meist ein fixer Bestandteil des Therapiealltags auf der Psychiatrie“, sagt Kovatsch. Nachdem Unternehmungen außer Haus nicht mehr möglich sind, entstehe in vielen Patientinnen und Patienten das Gefühl, auf der Station eingesperrt zu sein. „Für sie da zu sein und sie zu stützen, ist eine wesentliche Aufgabe unserer Mitarbeitenden.“ Das pflegerische Qualitätsniveau trotz vieler Einschränkungen, erschwerten Bedingungen und reduzierten Ressourcen bestmöglich zu halten, verlangt von den Pflegekräften viel Kreativität und Professionalität ab. Wenngleich dies zusätzlichen Aufwand bedeutet und es beim Personal immer wieder zu Ausfällen aufgrund von Covid-19-Infektionen oder Absonderung kommt.
Um auf akuten Personalmangel in den Vorarlberger Krankenhäusern und Pflegeheimen rasch reagieren zu können, installierte die Pflegedirektorin im Frühjahr gemeinsam mit den pflegerischen Ausbildungsstätten im Land einen Schülerpool. „Seither können wir tagesaktuell auf eine Aufstellung aller verfügbaren Auszubildenden zurückgreifen “, informiert Kovatsch. Ihr Dank geht auf diesem Weg an die Ausbildungsstätten für ihr Mitwirken. „Und vor allem an unsere zukünftigen Kolleginnen und Kollegen für ihre Bereitschaft, binnen kürzester Zeit ihren Arbeitsort zu wechseln, um dort mitzuhelfen, wo sie gebraucht werden.“
„Backup“ fürs Notspital
Laut aktuellem Versorgungsplan werden im Sonderkrankenhaus Rankweil ausschließlich Patienten aus dem eigenen Fachbereich behandelt. Dies gilt auch dann, wenn diese zusätzlich an Covid-19 erkrankt sind. In den beiden höchsten Eskalationsstufen ist das LKH dagegen als „Backup“ für das Notversorgungszentrum vorgesehen. „Das bedeutet, wir übernehmen Covid-Patienten, die zum Beispiel aufgrund einer Demenzerkrankung erhöhten Pflegebedarf haben, dem im Notspital nicht nachgekommen werden kann“, klärt Kovatsch auf. Im Herbst, als sich die Situation im Land zugespitzt hatte, wurden zu diesem Zweck zwei Stationen im Haus umgebaut. In Betrieb genommen werden musste die Covid-Station in Rankweil bislang noch nicht.
Informationsflut managen
Verwaltungsdirektor Dr. Franz Freilinger berichtet, dass die Spitäler während der Pandemie – noch mehr als die Bevölkerung – fast „lawinenartig“ mit Informationen zu neuen Entwicklungen konfrontiert würden: „Als Krankenhaus haben wir einen öffentlichen Versorgungsauftrag sicher zu stellen. Neben den von außerhalb kommenden rechtlichen Vorgaben sollen zusätzliche dienstrechtliche und organisatorische Bestimmungen sicherstellen, dass wir diesem auch in der Krise nachkommen können.“ Diese Informationsflut zu verarbeiten, verlangt perfektes Management. Schließlich müssen alle Mitarbeitenden bis ins kleinste Glied auf Stand gebracht werden, um die verordneten Maßnahmen umsetzen zu können. Oft galt es innert Tagen, neue Strukturen aufzubauen: „Mal mussten Stationen geschlossen, ein andermal verlegt werden, es waren Testmöglichkeiten zu schaffen und erst kürzlich organisierten wir die Impfung für mehrere Hundert Mitarbeitende“, so Dr. Freilinger über die Herausforderungen. Die strengen Sicherheitsvorkehrungen und rigorosen Regelungen, die für die Belegschaft gelten, seien zum Schutz der Patientinnen und Patienten sowie des Personals selbst alternativlos. Der Verwaltungsdirektor betont in diesem Zusammenhang allerdings, man wolle kein strenges Regiment führen, sondern „weiterhin ein wertschätzendes Umfeld für motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bieten.“
Durchhalten – trotz Dauerbelastung
Seit einem knappen Jahr dreht sich der Arbeitsalltag für die Mitarbeitenden der Krankenhäuser quer durch alle Berufsgruppen um Covid-19. Die Pandemie hat über Jahre gewachsene Strukturen und gewohnte Abläufe mitunter überfallsartig über den Haufen geworfen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben dabei Unglaubliches geleistet. Nach wie vor wird den Spitälern ein Höchstmaß an Flexibilität abverlangt. Die kollegiale Führung des LKH Rankweil streut ihrer Belegschaft diesbezüglich Rosen: „Wir sind noch immer überwältigt von dem immensen Zusammenhalt und dem persönlichen Engagement, das alle gezeigt haben.“
Mit Fortschreiten der Pandemie zeigen sich jedoch nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch beim Gesundheitspersonal Ermüdungserscheinungen. Die Belastungen und Entbehrungen der vergangenen Monate machen sich bemerkbar. Darin, die Menschen zum Durchhalten zu bewegen, sieht die Krankenhausleitung nun die größte Herausforderung: „Gerade jetzt ist es wichtig, nicht locker zu lassen und alles in unserer Macht Stehende zu tun, um das Virus einzudämmen.“ Denn es besteht eine Ungewissheit, welche Dynamik die Virusmutationen und eine weiter abnehmende Disziplin in der Bevölkerung ins Infektionsgeschehen bringen werden. Das gibt Anlass zur Sorge vor erneut explodierenden Fallzahlen. In den Krankenhäusern ist die Erinnerung an die dramatischen Wochen im vergangenen Herbst noch allzu präsent.
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