Nutrition 2019: Ernährung – „Gewissheit“ im Fluss 18. Dreiländertagung im Festspielhaus Bregenz 16.05.2019
Ernährung – „Gewissheit“ im Fluss
Vom 16. bis 18. Mai ist das Festspielhaus Bregenz das Zentrum der Ernährungswissenschaft: Mehr als 100 Experten aus den Bereichen Ernährung und Ernährungsmedizin kommen nach Bregenz, um ihre Erkenntnisse mit über 800 Teilnehmern aus dem Gesundheitswesen zu teilen und zahlreiche Ernährungsthemen unter dem Aspekt der rasanten Veränderung unserer Zeit zu diskutieren. Prim. Univ.-Doz. Dr. Alexander De Vries, Leiter der Schwerpunktabteilung für Strahlentherapie am Landeskrankenhaus Feldkirch, Univ. Prof. Dr.- Sonja Fruhwald von der Medizinischen Universität Graz und Univ. Prof. Dr. Michael Hiesmayr von der Medizischen Universität Wien sind Kongresspräsidenten und zählen in Österreich zu den führenden Ernährungsexperten im Bereich der klinischen Ernährung.
Es gibt kaum einen Bereich unseres Lebens, der sich in den letzten Jahrzehnten aufgrund der rasanten Entwicklung nicht drastisch verändert hat. Auch die Ernährung hat sich verändert! Neue wissenschaftliche Erkenntnisse haben zunehmend Einfluss auf unseren Speiseplan. Was vor KURZEM noch als ernährungswissenschaftliche Sensation galt, ist MORGEN wohlmöglich bereits veraltet. Unser Wissen über Ernährung ist im Fluss – aber fließt es nicht zu schnell?
Die Österreichische Arbeitsgemeinschaft klinische Ernährung, die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin und die Gesellschaft für klinische Ernährung Schweiz haben die 18. Dreiländertagung NUTRITION 2019 organisiert, um Orientierung zu geben und evidenzbasierte Entscheidungen zu fördern. So bleibt der Fluss einer erfolgreichen Ernährungstherapie aufrecht.
Ernährung und neue Medien
Dr. Margareta Büning-Fesel, Leitung Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) in der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)
Ein Foto vom Mittagessen in den sozialen Medien teilen, mit Apps das Ernährungs- und Bewegungsverhalten erfassen und sich über aktuelle Ernährungstrends im Internet informieren – Ernährung bzw. Essen und Trinken sind schon lange im digitalen Raum angekommen und mittlerweile sehr präsent. Virtuelle Informationen und Tools - z.B. Rezepte aus dem Internet oder „Schritt für Schritt“-Anleitungen zur Zubereitung von Lebensmitteln - können durchaus hilfreich sein und einen positiven Beitrag zur Ernährungskompetenz leisten. Für Ernährungs-Fachkräfte stellt sich heutzutage nicht mehr die Frage, ob sie die digitalen Möglichkeiten nutzen sollten oder nicht, die Frage ist nur noch, wie gut diese einsetzbar sind, um gesunde, reichhaltige Ernährung zu pushen. „Digitale Tools bzw. Apps können eine sinnvolle Hilfestellung und Ergänzung für die Beratungsarbeit sein und kommen auch dem Medien- und Kommunikationsverhalten der Klienten entgegen. Sie sind aber natürlich kein Ersatz für eine professionelle persönliche Beratung durch qualifizierte Fachkräfte“, so Dr. Margareta Büning-Fesel, Ernährungsexpertin am Bundeszentrum für Ernährung (BZfE).
Ethik in der Ernährungsmedizin
Univ.-Prof. Dr. Sonja Fruhwald, Medizinische Universität Graz, Klinische Abtlg. für Herz-, Thorax-, Gefäßchirurgische Anästhesiologie & Intensivmedizin
(Kongresspräsidentin Nutrition 2019)
Die Ernährung ist ein sehr emotional behaftetes Thema.
Wenn Patienten aufgrund einer schweren Erkrankung oder der Verschlechterung einer chronischen Erkrankung (Demenz, Krebs...) nicht ausreichend essen können, wird nach kurzer Zeit die Frage nach einer Ernährungstherapie gestellt. Hier meinen wir die Zufuhr von Ernährung über eine Magensonde, oder die Gabe von Ernährung über einen Katheter ins Gefäßsystem.
Vor Beginn einer Ernährungstherapie müssen zwei Grundsatzfragen - die Indikation betreffend - klar sein: Wird durch eine Behandlung das Outcome des Patienten verbessert, wird der Patient wieder gesund? Oder verbessert sich der Zustand des Patienten soweit, dass der erreichte Zustand für den Patienten akzeptabel ist und die Behandlung für den einzelnen Patienten nutzbringend ist? „Kann eine dieser Fragen mit ‚ja‘ beantwortet werden, müssen wir die Zustimmung des Patienten einholen“, erklärt Univ. Prof. Dr. Sonja Fruhwald von der medizinischen Universität Graz.
„Eine Therapie darf dann nicht begonnen werden bzw. muss abgebrochen werden, wenn eine dieser beiden Fragen mit ‚nein‘ beantwortet wird. Zum Beispiel: Im Endstadium einer Krebserkrankung oder einer Demenz schränken die Patienten ihre Nahrungsaufnahme ein. Aus Sorge, dass die Patienten durch ihre reduzierte Nahrungsaufnahme unter Hunger oder Durst leiden könnten, entschließt man sich zur Ernährungstherapie. Im Endstadium einer Erkrankung führt diese Ernährungstherapie aber zu keiner Gesundung oder Verbesserung des Zustandes des Patienten, sondern führt zu einer schweren Belastung der Patienten (zunehmendes Todesrasseln, Überwässerung, Verschlechterung der Leber- und Nierenfunktion, Atemnot...). Im Extremfall kann dadurch die Sterbephase des Patienten verlängert und erschwert werden“.
Die Entscheidung, eine Ernährungstherapie nicht zu beginnen oder abzubrechen, sind sehr schwierig und sollten immer im Konsens mit dem gesamten Behandlungsteam getroffen werden. Unterstützend in solchen Entscheidungsprozessen sind Weiterbildungen, Schulungen, die Hilfe erfahrener Kollegen und eine etwaige Beratung durch ein klinisches Ethikkomitee.
Onkologie: Prävention der Mangelernährung
OA Dr. Patrick Clemens, Landeskrankenhaus Feldkirch, Abteilung für Radioonkologie
Über die Hälfte aller stationären Tumorpatienten leiden unter einer Mangelernährung: Darunter versteht man einen deutlichen Gewichtsverlust innerhalb einer bestimmten Zeit, Appetitlosigkeit oder auch Muskelmasseverlust. Dies bedeutet einerseits für den Patienten eine eindeutige Verschlechterung der Prognose (früheres Versterben am Tumor) und der Lebensqualität, aber auch für die Gemeinschaft höhere Kosten, unter anderem durch aufwändigere Patientenbehandlung und längere Krankenhausaufenthalte. Deshalb ist es so wichtig, Mangelernährung rechtzeitig zu erkennen und entsprechend zu behandeln.
Intoleranzen: Glutamat, Fruktose, Histamin & Sulfite
Prof. Dr. Stephan Bischoff, Universität Hohenheim, Leitung Ernährungsmedizin/ Prävention & Genderforschung
„Lebensmittelallergien und Nahrungsmittel-Intoleranzen nehmen zu! Bereits jeder Dritte ist betroffen. Dies sind alleine 100 Millionen Menschen in der EU. Was ist passiert?“, setzt Prof. Dr. Stephan Bischoff von Universität Hohenheim das Publikum in Kenntnis.
Bei den Allergien vermutet man einen Zusammenhang mit der Hygienetheorie (= „Weniger bakterielle und virale Infekte durch bessere Hygiene führen zu mehr Allergien und Autoimmunerkrankungen.“). Das Immunsystem lernt nicht, zwischen schädlichen und ungefährlichen Bestandteilen der Nahrung zu unterschieden.
Bei den Intoleranzen ist es komplexer und unklarer zugleich: Neue Lebensmittelsorten? Verarbeitung der Produkte? Vermehrte Nutzung neuer Nahrungsmittel bzw. –zusatzstoffe? Mangelnde Deklaration? Einbildung? Wahrnehmung? Seit längerem wird berichtet, dass Lebensmittel-Zusatzstoffe und natürlich vorkommende Lebensmittel-Chemikalien bei Personen individuell bestimmte Symptome hervorrufen können. Die Nachweisbarkeit ist jedoch schwer. Die Elimination von Lebensmittel-Zusatzstoffen bzw. Lebensmittel-Chemikalien kann bei manchen Menschen für einen begrenzten Zeitraum von Nutzen sein. Vorausgesetzt, der diagnostische Weg wird befolgt und die Lebensmittel werden später wieder in den Speiseplan aufgenommen. Nur so kann die Wirksamkeit der Entfernung beurteilt werden. Diäten, die zu einer sehr strikten Einschränkung der Lebensmittelwahl führen, können jedoch – besonders bei Kindern und Jugendlichen – zu einem Nährstoffmangel führen.
Medikamente und Ernährung: „Wann, wie und warum?“
Prof. Dr. Werner Weitschies, Universität Greifswald, Center of Drug Apsorption and Transport
In den letzten Jahren wurden durch die Entwicklung neuer, oft auch oral anzuwendender Medikamente bedeutende Fortschritte in der Therapie - bis hin zur Heilung – von lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Krebs, HIV oder Hepatitis C gemacht. Gerade bei diesen neuen Medikamenten wird bei oraler Gabe das Ausmaß der Aufnahme der Wirkstoffe aus dem Gastrointestinaltrakt in den Körper oft gravierend durch die Ernährung bestimmt. Wann und wieviel gegessen wird und in welchem zeitlichen Abstand zur Medikamenteneinnahme kann mitentscheidend für den Therapieerfolg sowie das Auftreten von unerwünschten Nebenwirkungen werden.
Wie wird gesundes Essen für Kinder attraktiv?
Ass.-Prof. Mag. Dr. Petra Rust, Universität Wien, Departement für Ernährungswissenschaften
Jeder kennt diesen Satz: „Iss‘ doch bitte dein Gemüse auf!“ Dass er selten zum Ziel führt, wissen wir auch. Dieser Befehl wird mit Negativem assoziiert, ebenso wie Verbote und Drohungen. Eine gute und generationenübergreifende Vorbildwirkung bringt dagegen den gewünschten Erfolg. Bereits in Kinderschuhen wird der gesundheitsfördernde Lebensstil von später manifestiert. Verantwortung tragen in diesem soziokulturellen Lernprozess Vorbilder – z. B. Eltern, Pädagogen und Peergruppen. Säuglinge sind, was die Nahrungsaufnahme betrifft, noch rein von Innenreizen gesteuert. Später wird das Ernährungsverhalten durch Außenreize, die durch Beobachten und Imitieren geprägt werden, stark beeinflusst. Am besten und lebenslang verankert bleibt, was praxis-orientiert geübt wird: Experimentieren, gemeinsam am Familientisch sitzen, unterschiedliche Geschmäcker kennenlernen u.v.m. zählen zu den wichtigsten Empfehlungen. Außerdem soll den Kindern die gesunde Wahl zur einfachen Wahl gemacht werden! Das gilt vor allem auch für die Mahlzeiten in Kindergärten und Schulen.
Statement Dr. Christian Bernhard
Gesundheitslandesrat Vorarlberg
Gesundheit wird nicht nur als alleinige Abwesenheit von Krankheit verstanden, sondern umfasst zudem körperliches, geistiges und soziales Wohlbefinden. Über- oder Fehlernährung begünstigen ernährungsabhängige Krankheiten und alle damit einhergehenden Folgeerscheinungen. Das vorbeugende Potenzial der Ernährung trägt wesentlich dazu bei, die Gesundheit zu erhalten bzw. zu fördern. Die therapeutische und wissenschaftliche Bedeutung von richtiger Ernährung steht längst im Fokus von Fachleuten, die einerseits gesunde Ernährung für die Gesamtbevölkerung aber auch klinische Ernährung im Rahmen von Therapiekonzepten beinhaltet. Richtige Ernährung bei der Behandlung akuter Erkrankungen kann wesentlich zur Genesung beitragen.
Das breite, vielfältige Themenangebot der Nutrition 2019 zeigt das große wissenschaftliche Engagement, das diesem Themenfeld gewidmet wird und bietet die Möglichkeit, sich über Wissen und Praxis in der Ernährungsmedizin zu informieren und auszutauschen. Eine fortwährende Weiterbildung auf diesem Gebiet sichert die stete Verbesserung und Anpassung an aktuelle Entwicklungen im Interesse der Patientinnen und Patienten.