Neurochirurgie LKH Feldkirch: Operation am wachen Patienten 12.04.2019
• Expertise nun auch in Vorarlberg vorhanden
• Enge Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen Ärzten, Neuropsychologen und Patienten
Erhält ein Patient die Diagnose „Hirntumor“, gibt es je nach Beschaffenheit des Tumors verschiedene Behandlungsmöglichkeiten. Der erste Schritt ist meist eine operative Entfernung des Tumors, sofern möglich. Für solche Operationen kann es notwendig sein, dass der Patient aktiv bei der Operation mitarbeitet – und zur Überprüfung verschiedener Funktionen wach ist. Für einen solchen komplexen Eingriff ist neben der Expertise des Neurochirurgen selbst auch ein exakt abgestimmtes und vorbereitetes Zusammenspiel zwischen Narkosearzt, Neuropsychologen, OP-Pflegeteam und vor allem dem Patienten selbst unerlässlich. Seit kurzem wird dieser hochsensible Eingriff auch an der Schwerpunktabteilung für Neurochirurgie des LKH Feldkirch durchgeführt.
Das medizinische Fachgebiet der Neurochirurgie beschäftigt sich mit der Diagnose und Behandlung von Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems, der Wirbelsäule, des Schädels und des Gehirns. Erhält zum Beispiel ein Betroffener die Diagnose „Hirntumor“, ist der Neurochirurg erster Ansprechpartner. „Bei so einer Diagnose kann die komplette Entfernung des Tumors entscheidend zur Lebensverlängerung beitragen. Allerdings ist dies nur dann möglich, wenn der Eingriff keine neurologischen und lebenseinschränkenden Funktionsausfälle beim Patienten nach sich zieht“, erklärt Prim. Mag. Dr. Richard Bauer, Leiter der Schwerpunktabteilung für Neurochirurgie am LKH Feldkirch. Fällt die Entscheidung für diese hochsensible Operation, muss der Patient während des Eingriffs „aufgeweckt“ werden, um genau zu überprüfen, wo die Funktionen des Gehirns liegen – und welcher Teil des vom Tumor betroffenen Gewebes überhaupt entfernt werden kann, ohne dass es bleibende Einbußen und Einschränkungen beim betroffenen Patienten gibt.
Umfassende Vorbereitung auf die Operation
„Vor einer solchen Operation und nach der ersten Diagnose „Hirntumor“ sind zunächst einige weitere Untersuchungen zur Beschaffenheit des Tumors selbst notwendig. Erst dann können wir die Entscheidung für einen solchen Eingriff gemeinsam mit dem Patienten überhaupt fällen: Überprüft wird z.B., ob das Gewächs ein hirneigener Tumor ist und ob es Zeichen eines aggressiven Wachstums – z.B. in Form von erhöhter Zellteilungsrate und Gewebsuntergang - gibt “, erklärt OA Dr. Markus Hoffermann. Er ist der neurochirurgische Experte, welcher diese Operationen am LKH Feldkirch durchführt. Dafür hat sich Dr. Hoffermann die Expertise durch Training und Fortbildung an der Universitätsklinik Graz und als Gastarzt am Medical Center der University of California, San Francisco, angeeignet. Jährlich werden etwa 90 Hirntumore in Vorarlberg, davon ca. ein Drittel hirneigene Tumore – so genannte Gliome bzw. Astrozytome - diagnostiziert, Prim. Bauer und OA Dr. Hoffermann rechnen mit ca. 4-6 solcher Eingriffe am wachen Patienten pro Jahr. Seit Dezember wurden 2 Operationen am wachen Patient durchgeführt.
Genaue Lokalisation der individuellen Hirnfunktionen durch MRT
Es gibt unterschiedliche Bereiche des Gehirns, die bedeutsam sind für Sprache, Bewegung, Gedächtnis etc., deren Lage und Ausdehnung im Gehirn von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein können – erst recht bei Vorliegen eines Tumors. Weitere Untersuchungen betreffen also dann die Lokalisierung des Tumors selbst, sowie im Bezug dazu die Definition verschiedener Funktionsbereiche des Gehirns. „Wir müssen herausfinden, welche Funktionsbereiche vom Tumor betroffen sein könnten. Dies lässt sich mittels einer funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) eingrenzen“, führt Dr. Hoffermann aus. Der Neurochirurg muss während der Operation genau Bescheid wissen, wo er krankes Gewebe entfernen darf – oder ob das kranke Gewebe sogar funktionale Hirnzentren betrifft – und eine Entfernung daher nicht möglich ist, ohne die Funktion extrem einzuschränken. Dafür ist die Mithilfe von Neuropsychologen und vom Patienten selbst unerlässlich.
Aufwecken während der OP: Überprüfung von Hirnfunktionen durch Neuropsychologin
Ziel der Operation ist es, so viel Tumorgewebe wie möglich zu entfernen. Manche der Hirnfunktionen – wie etwa die Bewegung – lassen sich während der Narkose durch Stimulation auch ohne Aufwecken des Patienten feststellen. Andere Funktionen wie Sprache oder Gedächtnis allerdings kann man nur überprüfen, indem ein Neuropsychologe Tests während der Operation durchführt. Dafür muss der Patient während der Operation sozusagen „aufgeweckt“ werden. Bei der Operation am Hirn selbst verspürt der Patient keinen Schmerz: Mögliche Wundschmerzen werden durch lokale Betäubung und Medikamente von Seiten der Anästhesie ausgeschaltet, sodass der Patient nichts verspürt oder abgelenkt ist, wenn der Neuropsychologe die Funktionen gemeinsam mit dem Patienten prüft. Hier arbeitet die Neurochirurgie eng mit der Vorarlberger SMO (Sozialmedizinische Organisation) – Neurologische Rehabilitation zusammen. Von dort stammt die neuropsychologische Expertise. SMO-Neuropsychologin Mag. Miriam Schrom erklärt: „Wenn der Patient dann wach ist, beginnt unsere Arbeit: Wir führen mit ihm Tests - meist an Hand von Bildern oder Texten - durch, um verschiedene Funktionen wie Sprache, Gedächtnis, Erkennen der Umwelt usw. genau zu überprüfen. Der Patient muss beispielsweise eine Zahlenreihe vervollständigen, Bilder benennen oder Sätze bilden.“ Während dieser Tests versucht der Neurochirurg durch gezielte elektrische Stimulation, diese Funktionen zu „stören“, um damit die dafür notwendigen Gehirnbereiche zu identifizieren und schonen zu können.
Zusammenarbeit von Neurochirurgie, Anästhesie, Neuropsychologie und OP-Pflege
Um eine solche Operation durchführen zu können, ist viel Planung und Vorarbeit notwendig: Für den OP-Termin müssen alle notwendigen Disziplinen organisiert werden. Durch moderne Bildgebung müssen vorab die betroffenen Hirnareale bzw. die neurologischen Funktionen lokalisiert werden. Während der Operation sind sowohl der Neurochirurg als auch der Narkosearzt auf alle Eventualitäten genau vorbereitet, der Neuropsychologe muss alle Möglichkeiten der Funktionsüberprüfung innerhalb der OP-Zeit kennen und anwenden. Auch bei der OP-Pflege sitzt jeder Handgriff. „Das Ziel ist die möglichst radikale Entfernung des Tumors bei Erhaltung aller neurologischen Funktionen, um das Leben des betroffenen Patienten bei optimaler Lebensqualität zu verlängern. Dafür müssen alle reibungslos zusammenarbeiten – und zwar inklusive des betroffenen Patienten selbst“, fasst Prim. Dr. Bauer die Herausforderung eines solchen Eingriffs noch einmal zusammen.
Statements:
Prim. Mag. Dr. Richard Bauer:
„Die Abteilung für Neurochirurgie ist die einzige in ganz Vorarlberg. Unser Ziel ist es, hier am Schwerpunktkrankenhaus Feldkirch für die Vorarlberger Bevölkerung die neuesten OP-Methoden auf hochqualitativen Niveau anzubieten. Alles, was wir für den Patienten tun, geschieht in Interdisziplinarität – in Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen wie etwa der Anästhesie oder anderen Einrichtungen wie etwa den SMO. Mein Dank gilt neben diesen vor allem auch den Mitarbeiterin, die sich hier engagiert weitergebildet haben, um diese Methode der Operation am wachen Patienten auch in Vorarlberg durchführen zu können.“
OA Dr. Markus Hoffermann:
„Aus der modernen operativen Behandlung von Hirntumoren sind Wach-Operationen nicht mehr wegzudenken. Der Umfang an neurologischen Funktionen, die während eines solchen Eingriffs überprüft und damit geschont werden können, ist durch kein anderes Verfahren erreichbar. Ich bin sehr froh und dankbar, ein so professionelles Team hier in Vorarlberg vorgefunden zu haben, für das bereits nach kürzester Zeit diese Eingriffe zur Routine wurden. Die betroffenen Patienten selbst verdienen natürlich höchsten Respekt für ihren Mut und ihre Stärke.“
Mag. Miriam Schrom, Klinische Neuropsychologin, SMO:
“Ich finde es sehr erfreulich, dass so eine schonende Operationstechnik nun auch in Vorarlberg angeboten wird. Sie trägt zum größtmöglichen Erhalt wichtiger Funktionen, wie Sprache und Motorik bei, die für ein selbständiges Leben bzw. eine autonome Teilhabe am Alltag essentiell sind, und unterstützt Patienten und deren Angehörige in der Erhaltung bzw. Wiedererlangung ihrer Lebensqualität.”
Dr. Tanja Maaßen, Anästhesie LKH Feldkirch:
“Die anästhesiologische Herausforderung besteht im Wechsel zwischen Narkose und Wachheit des Patienten während der Operation, was durch moderne Anästhetika realisierbar ist. Die intensive und umfangreiche Patientenaufklärung sowie die enge Kommunikation zwischen Operateur, Anästhesisten und Patienten sind dabei von entscheidender Bedeutung für eine erfolgreiche Operation.”
Begriffsdefinitionen:
Neurochirurgie: Das medizinische Fachgebiet der Neurochirurgie beschäftigt sich mit der Diagnose und Behandlung von Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems, der Wirbelsäule, des Schädels und des Gehirns.
Neuropsychologie: Die Neuropsychologie selbst befasst sich mit den Funktionen des Gehirns wie z.B. dem Denkvermögen, der Aufmerksamkeit, dem Gedächtnis, dem Sprachvermögen, den motorischen Fertigkeiten, Persönlichkeits-/Verhaltensänderungen, emotionalen Störungen und visuellen Wahrnehmungsstörungen.
Hirntumor:
- Vorkommen in Vorarlberg: ca. 30 hirneigene Tumore/Jahr
- Erwartete Operationen am wachen Patient/Jahr: 4-6
- Mögliche Symptome:
- Symptome für Hirntumoren sind vielfältig und oft diffus. Anzeichen können sein:
- Einschränkungen in der Sprache, Bewegung, Gedächtnis, Hören, Riechen, Sehen, …
- Epileptische Anfälle
- Oft Zufallsbefunde
Zahlen/Daten/Fakten - Schwerpunktabteilung für Neurochirurgie am LKH Feldkirch
Als einzige Neurochirurgische Abteilung im Land Vorarlberg versorgt die Abteilung am LKH Feldkirch sämtliche Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems. Gründung: 27.12.1993
Behandlungsschwerpunkte:
- Erkrankungen des Gehirns (Tumore, Gefäßmissbildungen, Schädel Hirn Traumen),
- Erkrankungen der Wirbelsäule (Bandscheibenvorfälle, Wirbelkanalengstellen, spinale Tumore),
- Engpasssyndrome peripherer Nerven,
- schmerztherapeutische Eingriffe
Anzahl Eingriffe: 900 Operationen/Jahr
- Rd.400 Hirneingriffe (Hirntumore, Blutungen, Schädelhirntrauma, Gefäßmissbildungen)
- Mehr als 400 Wirbelsäuleneingriffe (Bandscheibenvorfälle, Wirbelkanalverengungen, Instabilität der WS, Infiltrationen und Blockaden)
- 17 Stationsbetten,
- 10 Ärztinnen und Ärzte,
- interdisziplinäre Intensivstation
- Station: 1100 Patientenaufnahmen pro Jahr, ca. 4000 Belegstage pro Jahr
- Ambulanz: 3200 Patienten-Untersuchungen pro Jahr (davon etwa 35% Erstbehandlungen und 65% Nachbehandlungen)
- Seit Februar 2019: Neubezug des OP- und Intensivzentrums am Schwerpunktkrankenhaus
Zusammenarbeit mit der Neuropsychologie in Vorarlberg
- SMO Reha GmbH, Neurologische Rehabilitation, weitere Informationen zu Neuropsychologie und Reha auch unter: www.smo.at
- MMag. Bakk. Markus Hochenburger, Markus.Hochenburger@psychodiagnostik.at