„Da Vinci“ unterstützt und optimiert chirurgische Handgriffe 22.11.2023
Seit wenigen Wochen verfügen die Vorarlberger Landeskrankenhäuser über einen weiteren OP-Roboter, der am LKH Bregenz zunächst vor allem in den Bereichen Chirurgie (Rektum-, Dickdarm- und Hernien-Chirurgie sowie bei Operationen am oberen Magen-Darm-Trakt, insbesondere bei Adipositas-Operationen) und Urologie (Radikale Prostatektomie, Nephrektomie, Operationen bei Nierentumoren und Blasenentfernung) zum Einsatz kommt. Dabei trifft moderne Technik auf fachliche Erfahrung: Beide ärztlichen Leiter der betreffenden Abteilungen sind bereits seit Jahren robotererfahren und weisen eine entsprechende Expertise auf dem Gebiet der Roboterchirurgie auf.
„Es zeichnet sich jetzt schon ab, dass der da Vinci-Roboter wochentags gleich mehrfach eingesetzt werden kann“, freut sich Prim. Priv.-Doz. Dr. Claudius Falch, der die Abteilung für Chirurgie an den LKH Bregenz und Hohenems leitet. Prim. Priv.-Doz. Dr. Stefan Aufderklamm hat vor wenigen Tagen seine Stelle als neuer Primar der Urologie am LKH Bregenz angetreten. Zuvor war er als leitender Oberarzt an der Universitätsklinik Tübingen für die Sektion „Roboter-assistiere Urologie“ verantwortlich und hat als solcher bereits Ärzt:innen am Roboter ausgebildet: „Der Da Vinci wird seit knapp zwei Jahrzehnten in der Urologie eingesetzt. Grund ist die komplexe Lage der urologischen Organe Prostata, Blase und Niere. Der OP-Roboter ermöglicht einen schonenden Zugang zum Zielorgan und erlaubt ein Höchstmaß an Präzision mit starker Vergrößerung des OP-Feldes, sodass die Operateur:innen sämtliche Gewebsschichten und Strukturen detailgenau beurteilen können.“
Eingriffe in schlecht zugänglichen Bereichen
„Wir freuen uns sehr, dass wir nun auch unseren Patient:innen am LKH Bregenz mit dem da Vinci-Roboter eine schonende OP-Technik für eine große Anzahl urologischer Krankheitsbilder anbieten können. Im Fokus steht dabei auch die geringere Zeit bis zur Genesung im Vergleich zu OP-Verfahren mit großem Schnitt“, berichtet Prim. Dr. Aufderklamm aus Erfahrung.
Und Primar Dr. Falch ergänzt: „Wir profitieren vom OP-Roboter vor allem bei Operationen in schlecht zugänglichen Bereichen der Bauchhöhle und der Bauchwand. Deshalb kommt der Da Vinci in der Chirurgie am LKH Bregenz vor allem bei Eingriffen im engen Becken, in der Krebschirurgie des Dick- und Enddarms, bei Eingriffen im oberen Magen-Darm-Trakt und an der Bauchwand zum Einsatz.“ Genannte Eingriffe werden am LKH Bregenz routinemäßig und damit häufig durchgeführt, zukünftig können aber auch seltenere und komplexe Eingriffe – etwa chirurgische Verfahren zur Rekonstruktion von Bauchwandbrüchen – mithilfe des OP-Roboters minimalinvasiv erfolgen.
Operation mit „extra Twist“
Der da Vinci-OP-Roboter ermöglicht nämlich Handgriffe, die über die anatomischen Möglichkeiten der Operateur:innen aus Fleisch und Blut hinausgehen: Denn die robotischen Chirurgenhände verfügen über mehr „Gelenke“ als die menschlichen (im Fachjargon „Freiheitsgrade“ genannt) und lassen sich damit in zusätzliche Positionen drehen. „Zudem haben auch die sehr kleinen Instrumente in der Bauchhöhle der Patient:innen mehr und feinere Bewegungsmöglichkeiten, als die herkömmlichen minimalinvasiven Instrumente“, erklärt Prim. Dr. Claudius Falch, „und das zusammen erweitert unsere Möglichkeiten enorm“. „Dazu kommt: Durch die verbesserte Darstellung des OP-Feldes werden optimale Bedingungen zur Präparation und Schonung wichtiger anatomischer Strukturen ermöglicht, wie etwa bei einer Prostatektomie“, nennt Primar Dr. Stefan Aufderklamm ein Beispiel. „Besonders vorteilhaft ist der Einsatz des OP-Roboters außerdem beim Nähen und Rekonstruieren nach urologischen Eingriffen.“
Roboterunterstützt, aber nicht automatisch
Im Umkehrschluss bedeutet das allerdings nicht, dass laparoskopische Eingriffe wie bisher oder auch offene Operationen gänzlich ausgedient hätten – ganz im Gegenteil: „Nicht jede:r Patient:in kommt für eine roboterunterstützte OP in Frage, und nicht jeder Eingriff ist automatisch geeignet für unseren Da Vinci. Die klassisch durchgeführten minimalinvasiven Eingriffe (Laparoskopie) stellen bei den meisten Operationen in der Bauchhöhle und an der Bauchwand weiterhin eine sehr gute Alternative dar. Wir entscheiden jedes Mal neu und individuell wie bisher, welche OP-Methode sich jeweils am besten eignet“, betonen die Primarärzte. „Was das betrifft, ändert sich für die Patient:innen nichts: Die durchzuführende Operation bleibt im Prinzip dieselbe. Und wenn jemand für einen robotischen Eingriff prädestiniert ist, dann bieten wir das an – und besprechen den Ablauf genauso ausführlich wie gewohnt.“
Wichtig ist dem Team, das mit und rund um den Da Vinci arbeitet, dass die Patient:innen wissen, dass der Roboter sie nicht „automatisch“ operiert: „Die robotische Chirurgie ist nicht mit Industrierobotern bzw. der Automatisierungstechnik der Industrie gleichzusetzen“, klären die Spezialisten auf. „Der Roboter kann den Faktor Mensch nicht ersetzen. Er bietet den Fachleuten aber eine technische Weiterentwicklung ihrer bisherigen Fertigkeiten.“ Außerdem müssen die Teams jederzeit in der Lage sein, aufgrund von unvorhergesehenen Faktoren während der Operation wieder auf „Manuell“ umzusteigen. Das ist jedoch äußerst selten der Fall.
Zwei Teamleader mit Robotererfahrung
Die Durchführung von robotischen Operationen setzt – ebenso wie bei allen anderen OP-Techniken – ein sehr gut eingespieltes und hochqualifiziertes Team, sehr viel Erfahrung und ein hohes Maß an manueller Geschicklichkeit und Feingefühl voraus. „Ich bin stolz darauf, am LKH Bregenz Kolleginnen und Kollegen an meiner Seite zu haben, die all diese Kriterien erfüllen. Sie alle haben in den vergangenen Monaten Hervorragendes geleistet“, lobt Prim. Priv.-Doz. Dr. Claudius Falch, der selbst viel Erfahrung aus seiner Zeit am Universitätsklinikum Tübingen mitgebracht hat: „Dort hatte ich bereits mehrere Jahre mit dem da Vinci-System operiert. Das bedeutet, dass wir am LKH Bregenz weder bei der Durchführung der Operationen, noch beim Aufbau des Robotik-Programms bei Null anfangen mussten.“
Bestätigung und ein weiteres Lob kommen hier von Prim. Priv.-Doz. Dr. Stefan Aufderklamm: „Das Team des LKH Bregenz wurde hervorragend auf die bevorstehenden Neuerungen geschult und konnte bei unseren ersten Eingriffen bereits alles Erlernte umsetzen, sodass diese komplikationslos verliefen.“ Und der Fachmann weiß, wovon er spricht: Prim. Dr. Aufderklamm hat vor seiner Funktion als leitender Oberarzt in Tübingen das „Deutsche Robotik Curriculum“ absolviert, eine Spezialausbildung der „Deutschen Gesellschaft für Roboter-assistierte Urologie“ an Zentren in Deutschland und Belgien.
Unzählige Trainings im In- und Ausland
Trotz all dieser Vorerfahrungen ihrer Chefs waren für die involvierten Fachteams vor allem die ersten Wochen mit einem enormen zeitlichen Aufwand verbunden. Um ein so komplexes System in den Arbeitsalltag zu integrieren, sind viel Team-Trainings notwendig. Geschult werden müssen alle, die in irgendeiner Form mit dem OP-Roboter zu tun haben. Das beginnt bei den Operateur:innen und Anästhesist:innen, geht über die OP- und Anästhesiepflege bis hin zu den Mitarbeiter:innen der Medizin- und Gebäudetechnik sowie der Medizinprodukteaufbereitung (MPAV): Viele Schulungen und Übungseinheiten erfolgten direkt am eigenen Da Vinci in Bregenz, daneben sind alle Operateur:innen und Assistent:innen sowie die Mitarbeiter:innen der OP-Pflege und Anästhesie zu Fortbildungen auch ins europäische Ausland gereist. Die Ausbildung der Operateur:innen beinhaltet nach der ersten Geräteeinweisung unzählige Simulatorstunden, Hospitationen in Robotik-Zentren und anderen Kliniken – wie etwa dem Queen Alexandra Hospital in Portsmouth (GB) sowie in verschiedenen Trainingszentren, in denen Operationen bis ins Detail simuliert wurden.
Die ersten Eingriffe im LKH Bregenz werden wiederum von Expert:innen aus ganz Europa begleitet. „Mein besonderer Dank gilt aber nicht nur diesen Teams, sondern auch all jenen Mitarbeiter:innen, die zeitweise die Abwesenheiten ihrer Kolleg:innen kompensiert und bei der Dienstplaneinteilung große kollegiale Flexibilität gezeigt haben und so die Einführung der robotischen Chirurgie am LKH Bregenz in dieser kurzen Zeit ermöglichten“, betont Primar Dr. Falch.
Schonender für die Patient:innen
Die Vorteile der robotischen Chirurgie basieren vor allem auf besserer Sicht und höherer Präzision: „Durch die extrem vergrößerte 3D-Sicht und die sehr kleinen Instrumente mit ihren multiplen Freiheitsgraden können wir noch präziser operieren und komplexe Bewegungsabläufe durchführen. Der OP-Roboter ermöglicht es, die Patient:innen noch schonender zu operieren und in beengten räumlichen Verhältnissen der Bauchhöhle in bis zu zehnfacher Vergrößerung Strukturen wie Blutgefäße und Nerven zu identifizieren“, erklärt Prim. Dr. Falch ein Beispiel. Dabei helfen Assistenzsysteme des Roboters zur besseren Visualisierung der Gewebedurchblutung, von Blutgefäßen und Gallenwegen. Und Prim. Dr. Aufderklamm ergänzt; „Mit dem System können viele innovative und sehr nützliche Funktionen kombiniert werden. So zum Beispiel die intraoperative Ultraschallanwendung, die insbesondere bei Nierentumoren sehr hilfreich sein kann.“
In Kombination bedeutet all das für die Patient:innen weniger Schmerzen nach der Operation, was wiederum zu einer schnelleren Mobilisierung und einer rascheren Erholung beitragen kann.
Neue Arbeitsqualität für Operateur:innen
Aber nicht nur die Patient:innen profitieren vom Robotereinsatz. Auch für die Operateur:innen bedeutet diese Art der Unterstützung „eine neue Qualität des Arbeitens“, beschreiben die beiden Primarärzte: Bei der robotischen Chirurgie kann die Konsole vor jeder OP an die jeweiligen Operateur:innen angepasst werden, sodass ein ergonomisches Arbeiten über viele Stunden hinweg möglich ist: „Studiendaten haben belegt, dass langes Stehen bei Operationen und oft ungünstige Haltungen während der Eingriffe massive körperliche Beschwerden verursachen können. Da entlastet uns der Roboter deutlich.“
Um die Eingriffe und OP-Abläufe mit dem Da Vinci weiter zu verbessern, nutzen die Teams am LKH Bregenz ein internationales Programm zur Evaluation: „Unsere Ergebnisse und Arbeitsabläufe können damit mit jenen anderer Fachkolleg:innen innerhalb Europas verglichen werden: „So sind wir immer auf dem aktuellen Stand und können unsere eigenen Leistungen im internationalen Diskurs laufend optimieren“, beschreiben die beiden Spezialisten ihre Motivation, ihre Roboter-Expertise noch weiter auszubauen.
Fact Box - Da Vinci-Operationssystem am Landeskrankenhaus Bregenz
Anliefertermin: 25.09.2023
Gesamtkosten: Investition ca. 1 Mio. Euro
Laufende Kosten: 440.000 Euro (Service und Wartung) über eine Laufzeit von fünf Jahren
Erste Operation: 18. Oktober 2023
Das da Vinci-System, mit dem nun am LKH Bregenz operiert werden kann, besteht aus drei Komponenten: der Konsole mit den Steuerungselementen für den/die Operateur:in, aus dem Patient:innen-Wagen mit den vier Haltearmen für die Instrumente und dem Videoturm mit der Elektronik für die Kamera, der Dokumentationseinheit und einem Touchscreen-Monitor. Die Chirurg:innen bedienen über die Steuereinheiten an der Konsole die kleinen Instrumente in der Bauchhöhle der Patient:innen, die wiederum über die Haltearme am Patient:innen-Wagen bewegt werden.
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