Neue Stoßdämpfer für Gelenke 08.10.2021
Gute Erfolge nach Knorpelzelltransplantationen am LKH Feldkirch
Seit dem Jahr 2015 werden am Schwerpunktkrankenhaus Feldkirch Knorpelzelltransplantationen auch routinemäßig durchgeführt. Die noch recht junge Behandlungsmethode gilt vor allem bei jüngeren Patient:innen und Sportler:innen als besonders erfolgsversprechend. Gelenksprobleme - derzeit noch überwiegend an Knie- und Sprunggelenken - können mit minimalen Eingriffen langfristig behoben werden. „Vorarlberg ist in diesem Bereich sehr privilegiert“, betont Dr. Florian Obwegeser: „Wir haben hier in Feldkirch ein eigenes Knorpelzentrum, in dem wir sämtliche Therapiemöglichkeiten wie Meniskus- und Knorpeltransplantationen anbieten können.“
Florian Obwegeser ist Facharzt für Orthopädie und Traumatologie am LKH Feldkirch und zertifizierter Kniechirurg der Deutschen Kniegesellschaft. Gemeinsam mit dem Sport-Team unter der Leitung von Primar Priv.-Doz. Dr. René El Attal führt er rund 40 Knorpelzelltransplantationen pro Jahr in Feldkirch durch. Mit durchwegs erfolgreichen Resultaten.
Wie Sand im Getriebe
Der menschliche Bewegungsapparat braucht Knorpel, um zwei aneinander liegende Gelenksflächen reibungslos gleiten zu lassen. Ist der Knorpel beschädigt, kann Knochen auf Knochen reiben. Dieser Abrieb reizt wiederum die Gelenkshaut. Ähnlich wie Sand im Getriebe einer Maschine, kann das auch im menschlichen Körper Schäden verursachen. Das Gelenk - etwa das Knie - schwillt an und schmerzt. Dazu kommt, dass der Knorpel eine Art „Stoßdämpfer“-Funktion hat: „Der Gelenkknorpel besteht aus einer festen Struktur aus Knorpelzellen und Kollagenfasern sowie etwa 85 Prozent Wasser“, erklärt Florian Obwegeser. „Tritt der Mensch beim Gehen oder Springen auf dem Boden auf, wird durch diesen Stoßdämpfer einiges von der Kraft abgefedert, die auf die Gelenke wirkt. Ist der Knorpel defekt, landet viel Gewicht ungebremst auf dem Gelenk.“
Defekter Knorpel heilt nicht selbst
Nur die wenigsten Knorpelschäden entstehen bei Unfällen. Die meisten Defekte bilden sich aufgrund von Abnützung, etwa auch im Freizeit- oder Leistungssport. Die häufigsten Begleiterkrankungen sind allgemein bekannt: instabile Bänder, die reißen oder Kniescheiben, die aus ihrem vorgesehenen Platz „herausspicken“. „In 60 Prozent aller Gelenksspiegelungen, den sogenannten Kniegelenks-Arthroskopien, finden wir Knorpelschäden. Und die muss man auch als solche behandeln. Denn leider heilt ein defekter Knorpel nicht von selbst wieder“, erklärt der Fachmann. Der Knorpel selbst hat nämlich keine Blutgefäße und Nerven, er kann sich deshalb nicht regenerieren oder von sich aus neu wachsen. „Im Erwachsenenalter ist ein Knorpelschaden bleibend und führt in den meisten Fällen zu größeren Defekten. Da braucht es einen Arzt, der das rechtzeitig erkennt und etwas unternehmen kann.“
Hyaluronsäure fürs Knie
Die Mediziner:innen haben mehrere Möglichkeiten, den menschlichen Stoßdämpfer zu „reparieren“. Die Wahl der Methode hängt auch davon ab, wie groß der Schaden bereits ist. In der Vergangenheit sind kleinere Defekte überwiegend durch sogenanntes „Mikrofrakturieren“ ausgeglichen worden. Dabei ist ein Teil des Knorpels entfernt und ein Loch in den Knochen gebohrt worden: „Dadurch kann sich Narbengewebe aus Stammzellen bilden“, erklärt Florian Obwegeser. „Leider ist bei dieser Methode nach rund zwei Jahren wieder eine Behandlungen nötig. Denn auch das Narbengewebe nützt sich wieder ab, und die Situation ist danach wieder dieselbe.“ Mittlerweile wird aus diesem Grund kaum mehr mit Narbengewebe gearbeitet, es kommen vielmehr Ersatzstoffe zur Anwendung, die statt des Knorpels eingesetzt werden - beispielsweise verfestigte Hyaluronsäure oder Kollagenmembrane.
Körpereigene Knorpelzellen züchten
Bei größeren Schäden haben die Orthopäden und Unfallchirurgen am LKH Feldkirch nun seit einigen Jahren gute Erfolge mit Knorpelzelltransplantationen: „In einem kleinen, rund zehnminütigen Eingriff nehmen wir an einer Stelle, an der es nicht stört, Knorpelzellen heraus. Es gibt einige Bereiche im Kniegelenk, die weniger stark belastet sind und sich dafür eignen. Die entnommenen Zellen schicken wir dann an eines der beiden nähergelegenen Zelllabore in Wels und Berlin.“ Nach Angaben von Dr. Obwegeser werden dort im Reagenzglas aus rund 400.000 Knorpelzellen bis zu drei Millionen neue gezüchtet. Angeregt wird die Zellteilung durch köpereigene Wachstumshormone.
Nach rund sechs Wochen können die gezüchteten Zellen in einer zweiten Operation an der geschädigten Stelle eingesetzt werden. Der defekte Knorpel muss zuvor fein säuberlich entfernt werden. Die Patient:innen bleiben zwei bis drei Tage stationär im Krankenhaus. In weiteren rund sechs Wochen bildet sich dann neuer Knorpel. Während dieser Zeit entlasten Krücken den Bewegungsapparat, denn der gezüchtete Knorpel ist noch nicht ganz so stabil wie der natürliche.
Rückkehr zu sportlichen Aktivitäten möglich
Danach beginnt der wichtige Teil der Physiotherapie. Beweglichkeit und Kraft werden ganz langsam gesteigert: „Die meisten können nach etwa drei Monaten wieder mit ersten, gelenkschonenden Sportarten wie Radfahren und Schwimmen beginnen. Ziel ist eine langsame und schrittweise, dafür aber vollständige Wiederherstellung.“ Florian Obwegeser vergleicht den Heilungsprozess mit dem Säen eines neuen Rasens: „Zu Beginn ist da die lockere Erde mit den Grassamen. Diese wachsen auch erst allmählich an und es dauert seine Zeit, bis der Rasen wirklich belastbar ist.“ Die Mediziner:innen haben die Erfahrung gemacht, dass bei der gelenkserhaltenden Chirurgie die Rückkehr in den Sport – mitunter sogar im Profibereich – möglich ist.
Generell kommen für gelenkserhaltende chirurgische Eingriffe eher jüngere Patient:innen im Alter zwischen 16 und 55 Jahren in Frage. Grade sehr junge Menschen profitieren davon, wenn sie sich nicht schon früh ein künstliches Gelenk implantieren lassen müssen. Denn dieses muss - bedenkt man die rund 20-jährige Haltbarkeit einer Prothese - mitunter mehrere Male im Leben ausgetauscht werden: „Allerdings ist es sehr stark abhängig vom sogenannten biologischen Alter“, fügt der Mediziner hinzu: „Ein 60-Jähriger kann durchaus noch ein sehr gutes Kniegelenk haben.“
Hoffnung für Hüfte, Schulter und Co.
Die Knorpelzelltransplantation ist zwar eine sehr junge, gleichzeitig aber auch eine bereits sehr gut untersuchte Methode. Es sind sehr große Studien, unter anderem in Deutschland, durchgeführt worden. „Das ist nötig, um in der EU im Bereich der Zellteilung und Genetik eine Zulassung zu bekommen. Die Methode ist also vor ihrer Zertifizierung sehr gut untersucht worden.“
Und mittlerweile bescheinigen auch die ersten 15-Jahres-Untersuchungen der Methode äußerst positive Langzeitergebnisse und Zufriedenheitsraten von über 90 Prozent. Das macht Hoffnung auf mehr: „Noch behandeln wir am LKH Feldkirch damit überwiegend Knie- und Sprunggelenke. Aufgrund der guten Ergebnisse wollen wir die Knorpelzelltransplantation aber auch auf andere Bereiche ausweiten. Internationale Ergebnisse sprechen sehr dafür.“ Prinzipiell kann diese Methode an jedem größeren Gelenk angewendet werden, also auch an Ellenbogen, Schulter und Hüfte.