Mehr Organspenden in Vorarlberg im Jahr 2020 07.07.2021
Vergangenes Jahr ist am Landeskrankenhaus Feldkirch erstmals damit begonnen worden, Spenderorgane auch nach dem Tod durch Herzstillstand (DCD = Donation after Cardiac Death) routinemäßig zu entnehmen. Ein bedeutender Schritt in einem äußerst sensiblen Bereich. Jahrelange Vorbereitungen und interdisziplinäre Schulungen des medizinischen und pflegerischen Personals sind ihm vorausgegangen. Bislang war in Vorarlberg fast ausschließlich die Organentnahme nach Hirntod (DBD = Donation after Brain Death) üblich. Die zusätzliche Möglichkeit der Organspende nach Herztod hat sich weltweit bereits bewährt. Seit in Österreich der Oberste Sanitätsrat 2013 nun ganz klar definierte Richtlinien dafür empfohlen hat, hat auch das LKH Feldkirch damit begonnen, sich darauf vorzubereiten.
13 Spender:innen in Vorarlberg haben 2020 nach ihrem Tod Leben gerettet. Ihre Organe konnten erfolgreich transplantiert werden, teils haben sie gleich mehreren Patient:innen geholfen (gespendet werden können zwei Nieren, die Leber, das Herz, die Lunge und die Bauchspeicheldrüse). Konkret waren es in Vorarlberg sieben DBD-Spender:innen und - erstmals - sechs DCD-Spender:innen. Damit stammen 40 Prozent aller österreichischen Organspender:innen, die nach einem Herzstillstand verstorben sind, aus Vorarlberg.
!! Wichtig: Nicht dazu gezählt sind in dieser vorliegenden Bilanz die Organspenden von Lebenden – wie etwa Nierenspenden innerhalb der Familie – sowie die Zahl der Stammzellentransplantationen!
Deutlich mehr Organspenden
Durchschnittlich zählt Vorarlberg pro Jahr fünf bis zehn Organspender:innen. Den Überblick darüber hat Dr. Wolfgang List, er ist bereichsleitender Oberarzt der Intensivstation am LKH Feldkirch und seit acht Jahren lokaler Transplantationsbeauftragter. Als solcher ist er in ein europaweit agierendes Netzwerk eingebunden, der „Eurotransplant International Foundation“ mit Sitz in den Niederlanden. Der Stiftung gehören insgesamt acht Länder an, deren Transplantationszentren und Spitäler eng zusammenarbeiten.
Laut dem soeben veröffentlichten Transplant-Jahresbericht 2020 sind im vergangenen Jahr in ganz Österreich 672 Organtransplantationen durchgeführt worden, 620 davon mit Organen Verstorbener. Vorarlberg ist das einzige Bundesland, in dem heuer der Gesamt-Spenderschnitt pro einer Million Einwohner auf über 30 erhöht werden konnte. Diesen Schnitt hat sich Österreich insgesamt zum Ziel gesetzt. Bundesweit hat sich in den vergangenen zehn Jahren ein Durchschnitt von 22 bis 25 Spender:innen pro einer Million Einwohner eingependelt.
In Österreich gilt das Widerspruchsrecht
„Bei uns in Vorarlberg werden die Organe für Spenden entnommen, also explantiert, aber nicht in den Körper der Empfänger transplantiert“, erklärt Wolfgang List. „Jene Vorarlberger:innen, die aufgrund schwerwiegender Erkrankungen auf ein Spenderorgan warten, werden aber bei uns vor- und nachbetreut.“ Das nächstgelegene Transplantationszentrum befindet sich in der Universitätsklinik Innsbruck. Insgesamt gibt es in Österreich vier Zentren, in denen Organtransplantationen durchgeführt werden.
In Österreich gilt - anders als etwa in Deutschland und in der Schweiz - die sogenannte Widerspruchsregelung. Das heißt, wer nicht möchte, dass seine Organe nach dem Tod gespendet werden, der muss das zu Lebzeiten aktiv ablehnen. Entweder schriftlich oder mündlich vor Zeugen. Wer ganz sicher gehen will, lässt sich in das Widerspruchsregister eintragen. Die Widerspruchslösung gilt nicht nur in Österreich, sondern unter anderem auch in Frankreich, Schweden und Ungarn.
Entscheidungen zu Lebzeiten besprechen
Dieses aktive Widersprechen setzt natürlich voraus, dass man sich mit dem Fall der Fälle ernsthaft auseinandersetzt, darüber nachdenkt und spricht. „In den Familien wird leider zu wenig oder gleich gar nicht darüber gesprochen“, bedauert Wolfgang List: „Wenn nicht gerade zufällig im engeren Umfeld ein Dialysepatient auf eine Organspende wartet, dann ist das Thema kaum präsent.“ Im Ernstfall ist es für Angehörige dann oft schwierig, genau zu wissen, was der oder die soeben Verstorbene für sich selbst gewollt hätte. Denn ausschlaggebend ist in Österreich der Wille der Patientin oder des Patienten.
„Wenn dieser Wille nirgendwo deponiert ist, dann halten wir uns an die Angaben der Angehörigen. Wir fragen immer nach dem mutmaßlichen Willen des Sterbenden“, betont Dr. List: „Die Organspende geschieht also in jedem Fall in Absprache mit den nahen Angehörigen.“ Für die Familien ist es allerdings eine große Erleichterung, wenn die letztendliche Entscheidung bereits zu Lebzeiten getroffen und hinterlegt worden ist.
Mehr Zustimmung als Ablehnung
Eine Organspende kann Leben retten. Daher sind die Ärzt:innen verpflichtet, auf diese Möglichkeit hinzuweisen. Und dieser Hinweis kommt natürlich in einer Situation, die für alle Beteiligten ohnehin ein Ausnahmezustand ist, weiß der Intensivmediziner: „Die Angehörigen müssen erst einmal verstehen, dass ihr geliebter Mensch stirbt. Allein diese Information muss zunächst verarbeitet werden.“ Der Prozess hin zu einer Organspende ist sehr zeitintensiv und erfordert viel Einfühlungsvermögen von Seiten des medizinischen Personals: „Es ist immer wieder eine Herausforderung. Denn wir nehmen uns die Zeit, um hinzuhören, Ängste und Sorgen der Angehörigen zu verstehen. Und wir nehmen uns die Zeit, um zu erklären.“
Ängste, die immer wieder angesprochen werden, drehen sich beispielsweise darum, ob womöglich der Körper nach der Organentnahme entstellt ist und ob der Sterbende Schmerzen spürt. Gespräche können die Sorgen nehmen: „Wir erklären den Menschen, dass die Wunden nach der Entnahme wie bei einer normalen Operation wieder verschlossen werden, und wir erklären, aus welchen wissenschaftlich gesicherten Gründen ein hirntoter Mensch keine Schmerzen mehr empfinden kann“, beruhigt Wolfgang List. „Insgesamt erleben wir zum überwiegenden Teil eine Zustimmung zur Organentnahme, in etwa zwei Drittel der Fälle kommt ein Ja.“
Wolfgang List hat nach einer Organspende auch immer wieder Kontakt zu den betroffenen Familien: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass so gut wie alle schlussendlich froh darüber sind, diesen Weg gegangen zu sein. Sie erleben nach dem ganzen Dunkel einen hellen, positiven Aspekt.“
Organspende nach Hirntod - DBD („Donation after Brain Death“)
Aufklärung und Wissen ist daher das Um und Auf bei der Entscheidungsfindung. Auch wenn es nicht leicht fällt. Mittlerweile ist die Organspende nach Hirntod in der Bevölkerung seit vielen Jahrzehnten ein Begriff. Für den medizinischen Laien ist sie allerdings nach wie vor schwierig zu verstehen. Denn schwere innere Kopfverletzungen, Sauerstoffmangel im Gehirn und Hirnblutungen sind nach außen hin nicht sichtbar: Die Angehörigen erleben ihr Familienmitglied unverändert: Durch die künstliche Beatmung hebt und senkt sich der Brustkorb wie bei einem Lebenden, die Überwachungsgeräte zeigen den Schlag des Herzens an. „Den Menschen in dieser Grenzsituation dann näherzubringen, dass im Vergleich zum Vortag jetzt der Hirntod eingetreten ist, muss von Fachleuten gut erklärt und deutlich gemacht werden. Die Tatsache, dass das Herz es nicht mehr schafft, genügend Blut und damit Sauerstoff ins Gehirn zu pumpen, weil der Druck im Kopf stark erhöht ist, spielt sich im Inneren ab. Wenn das Gehirn nicht mehr genügend durchblutet wird, stirbt es ab. Und das können nur die Mediziner:innen wahrnehmen.“
In den Kooperationsländern ist genau definiert, nach welchen Kriterien der Hirntod festzustellen ist. In Österreich entspricht der Hirntod offiziell dem sogenannten Individualtod, also dem Tod der Person. Die Hirntod-Diagnose wird von Fachärzt:innen für Neurologie nach einem für Österreich einheitlichen Protokoll gestellt. Nach vorgegebenen Kriterien wird der Zeitpunkt des Todes festgehalten. 2013 ist das strenge Protokoll noch einmal nachgeschärft worden. „Da kann man den Angehörigen definitiv die Angst nehmen: Das ist kein künstliches Koma mehr, das durch Narkosemittel herbeigeführt wird, der Mensch lebt nicht mehr.“
Organspende nach Herztod - DCD („Donation after Cardiac Death“)
Obwohl die Geschichte der Organspende in den 1960er Jahren eigentlich mit dem Kriterium des Herztodes bzw. mit dem Tod nach Kreislaufstillstand begonnen hat, ist dieser Prozess der Organentnahme weit weniger bekannt und war lange Zeit auch nicht mehr üblich. Auch hier entscheidet jeder Staat für sich. Ende 2013 hat in Österreich der Oberste Sanitätsrat offiziell seine Empfehlungen zur Durchführung der Todesfeststellung bei einer geplanten Organentnahme nach Hirntod durch Kreislaufstillstand ausgeschickt.
„Trotz aller intensivmedizinischer Behandlungsmöglichkeiten gibt es immer wieder Patienten, bei denen sich im Verlauf der Behandlung herausstellt, dass die Schäden am Gehirn so ausgeprägt sind, dass ein Überleben nicht möglich ist. Diese Diagnose erfolgt immer interdisziplinär und unter Einbeziehung unabhängiger Untersuchungen wie beispielsweise durch Nachweis schwerster Schäden in einer Kernspintomographie“, erklärt Wolfgang List. Mit den Angehörigen wird ein Abbruch der künstlich lebensverlängernden Intensivtherapie besprochen: „Wenn die Entscheidung zu einem Therapieabbruch getroffen ist, kann über die Möglichkeiten einer Organspende nachgedacht und mit der Familie über einen möglichen Patientenwillen gesprochen werden. Die Entscheidung zum Therapieabbruch erfolgt aber völlig unabhängig und abgekoppelt von der Möglichkeit einer Organspende“, betont List.
Der Patient wird für einen Therapieabbruch palliativ begleitet: „Das betreuende Team sorgt dafür, dass der Sterbende keine Schmerzen hat oder Atemnot empfindet. Er soll in Ruhe und friedlich gehen dürfen.“ In diesen Fällen tritt der Tod auf eine Weise ein, die für die Angehörigen etwas einfacher nachzuvollziehen ist: das Herz hört auf zu schlagen, bleibt stehen. Kurz danach endet auch hier das Leben mit dem Einsetzen des Hirntods. „Die Familie hat die Möglichkeit, den Sterbenden zu begleiten, das ist uns ein großes Anliegen. Es ist wichtig für die Menschen, dass sie sehen, dass ihr Angehöriger durch die palliative Betreuung nicht gelitten hat, dass er ruhig eingeschlafen ist.“ Die Organe werden dann nach einer genau definierten Zeit nach Todeseintritt - wieder in Absprache mit der Familie - gespendet.
Diese DCD-Spenden sind vergangenes Jahr nun erstmals auch am LKH Feldkirch routinemäßig durchgeführt worden. Im Zuge der Aktualisierung für die Hirntod-Spende ist auch die Spende nach Herztod klar in einem Protokoll definiert und verschriftlicht. Das Team in Feldkirch hat sich auf diese Art der Organspende gut vorbereitet: alle Berufsgruppen, die in diesem Prozess dabei sind, sind geschult worden, haben an interdisziplinären Fachveranstaltungen teilgenommen, an denen auch immer wieder Vertreter der Uniklinik Innsbruck mit dabei waren.
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