Lage in den Spitälern Vorarlbergs spitzt sich zu 13.11.2020
Anzahl der zu versorgenden Covid-Patienten übersteigt bald Kapazitäten
Angesichts steigender Hospitalisierungen und der weiteren Zunahme der Corona-Neuinfektionen sehen sich die Vorarlberger Krankenhäuser zu drastischen Schritten gezwungen. Der Regelbetrieb wird weiter eingeschränkt, um mit den verfügbaren Ressourcen die Notfallmedizin und die Betreuung von Covid-Patienten bewerkstelligen zu können.
Trotz Lockdown steigen die Corona-Infektionszahlen wie befürchtet weiter an. In den Vorarlberger Krankenhäusern wird die Luft immer dünner. „Stand heute sind 183 Spitalsbetten mit Covid-19-Patienten belegt, 35 davon in der Intensivmedizin“, informiert Direktor Dr. Gerald Fleisch, Geschäftsführer der Vorarlberger Krankenhaus-Betriebsgesellschaft. Damit stehen aktuell noch 284 Normalbetten und 17 intensivmedizinisch betreute Betten zur Verfügung. Da die Hospitalisierungsrate zeitverzögert auf das Infektionsgeschehen reagiert, ist jedoch mit einer weiteren Zunahme zu rechnen. Erfahrungsgemäß muss etwa jeder fünfte Corona-Patient, der stationär behandelt wird, auf die Intensivstation verlegt werden.
Auch die Personaldecke wird dünner
Dabei macht den Verantwortlichen neben den Intensivkapazitäten und der Infrastruktur insbesondere die Personalsituation zu schaffen. Aktuell sind 114 Mitarbeitende der Vorarlberger Krankenhäuser positiv getestet, weitere 105 als Kontaktpersonen abgesondert. Noch lässt sich der Betrieb mit den vorhandenen Ressourcen abdecken. Zudem kam es zu einer Einigung mit dem Betriebsrat, um über die regulär vereinbarten Dienstzeiten hinaus möglichst flexibel auf diese Krise reagieren zu können.
Die zu erwartende Verschärfung der Lage wird jedoch weitere einschneidende Maßnahmen erforderlich machen. „Wir werden den Regelbetrieb in unseren Spitälern weiter herunterfahren und uns ausschließlich auf Notfallmedizin und die Versorgung von Covid-Patienten konzentrieren“, konkretisiert der KHBG-Chef und verdeutlicht: „Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Vorarlbergerinnen und Vorarlberger nicht mehr davon ausgehen können, dass sie beispielsweise nach einem Unfall im Krankenhaus in gewohnter Qualität behandelt werden können.“
Triage nicht auszuschließen
Angesichts der dramatischen Entwicklung rückt auch die Frage immer näher, wen man zukünftig noch intensivmedizinisch versorgen kann. Laut Gerald Fleisch könnte die Anzahl der hospitalisierten Patienten bald zu hoch sein, um sie mit den verfügbaren Kapazitäten abdecken zu können: „Dann müsste das Gesundheitssystem in die Triage.“ Dies bedeute das Ende der Individualmedizin, die Patienten ungehinderten Zugang zu allen Behandlungen ermöglicht. Stattdessen steht im Vordergrund, das Überleben der Patienten mit den besten Chancen zu sichern. Betroffen sind davon nicht nur Corona-Patienten, sondern ebenso Menschen mit Herzinfarkt, Schlaganfall oder nach einem Verkehrsunfall. Den Vorarlberger Krankenhäusern liegt ein umfassendes Triage-Konzept vor, das die Selektion nach objektivierbaren Kriterien und im Netzwerk definiert. Darauf bereiten sich die Gesundheitseinrichtungen vor.
Lange Verläufe binden hohe Kapazitäten
OA Dr. Wolfgang List vom LKH Feldkirch ist Koordinator für die intensivmedizinische Behandlung von Corona-Patienten in Vorarlberg.
Er berichtet, dass bereits jetzt eine Erweiterung der Bettenkapazität um mehr als 20% umgesetzt werden konnte, dazu ist aber die Unterstützung von ärztlichen und pflegerischen Mitarbeitern nötig, die bisher nicht auf der Intensivstation gearbeitet haben. Zu den derzeit vorhandenen 63 intensivmedizinischen Betten könnten weitere 41 Beatmungsplätze aufgerüstet werden. „Wieviele Betten davon aber mit qualifiziertem Personal betrieben werden können, lässt sich nicht abschätzen“, sagt List. Neben dem Personal, um die Patienten auch fachgerecht betreuen zu können, brauche es aber auch entsprechende Infrastruktur. „Schon jetzt werden Intensivbetten bereits außerhalb der Intensivstationen aufgestellt, beispielsweise im Aufwachraum“, verweist er auf widrige Umstände.
Was die intensivmedizinischen Kapazitäten zusätzlich belastet, ist die Tatsache, dass die durch das neue Corona-Virus verursachte Infektionskrankheit hohe Ressourcen bindet. Covid-19-Patienten kommen zumeist mit Lungenversagen auf die Intensivstation, typisch sind sehr lange Verläufe. „Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer eines Covid-19-Patienten auf der Intensiv beträgt rund drei Wochen, in Einzelfällen bis zu 50 Tagen“, veranschaulicht der Intensivmediziner, „dem gegenüber stehen fünf bis sieben Tage Verweildauer bei Nicht-Covid-Patienten.“ Die Vorarlberger Krankenhäuser stemmen diese Ausnahmesituation in enger Abstimmung untereinander. Die Zusammenarbeit sei sehr gut, konstatiert Wolfgang List: „Die Intensivstationen aller Spitäler sind regelmäßig in Kontakt und stimmen sich beispielsweise über Therapiekonzepte ab – und nun auch über die Maßnahmen im Rahmen der Triage.“
Zeitaufwändige Intensivpflege
Die Herausforderungen für die Intensivmedizin in Vorarlberg sind in vielerlei Hinsicht riesig. Das Pflegepersonal leistet schon jetzt Unglaubliches, um diesen Kraftakt zu bewältigen. DGKP Jakob Köb, Pfleger auf der Intensivstation am KH Dornbirn, weiß, wie belastend es ist, sich über Stunden in Schutzausrüstung der Betreuung der Patienten zu widmen: „Wir tragen doppelten Mundschutz, doppelte Handschuhe, dazu Haube, Schutzbrille und Schutzkittel und können den Isolationsraum nicht ohne Weiteres verlassen. Das ist sehr kräfteraubend.“ Die Arbeit im Covidzimmer sei auch deutlich zeitaufwändiger als auf der herkömmlichen Intensivstation: „Das liegt aber weniger am Pflegeaufwand, der ist beispielsweise vergleichbar mit jenem von Intensivpatienten mit Lungenentzündung, sondern vielmehr an den hohen Sicherheitsstandards, die dabei zu berücksichtigen sind.“
Die Intensivpfleger überwachen Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung via Monitor und speziell bei Covid-Patienten die Beatmungsmaschine. Dazu die Ernährungspumpe, die den Patienten künstlich ernährt, und die Perfusoren, die die Medikamentengaben steuern. Zu ihren Aufgaben gehört außerdem, die Patienten zu mobilisieren, sodass keine Druckstellen entstehen, oder sie so zu lagern, dass die Lungenareale besser mit Sauerstoff versorgt werden – beispielsweise in Bauchlage.
Bei Covid-Patienten, die zwar intensivmedizinisch behandelt werden müssen, aber nicht in künstlichem Tiefschlaf sind, ist das Pflegepersonal auch der einzige zwischenmenschliche Kontakt. Doch vieles, was im normalen Pflegealltag dazu beiträgt, Vertrauen zu schaffen und Ängste abzubauen, ist weggefallen. Jakob Köb erzählt, dass es ältere Menschen oft beunruhige, das Pflegepersonal derart „vermummt“ um sich zu haben. „Und besonders leiden Menschen mit beeinträchtigtem Hörvermögen, die ansonsten stark auf Mund und Mimik achten.“ Die neue Situation erfordere deshalb auch einen neuen Zugang zu den Patienten.