Jahrestagung ÖGKiM: "Zwischen Macht und Ohnmacht" 21.10.2024
Herausforderungen im medizinischen Kinderschutz
Am 18.10. 2024 fand im LKH Feldkirch die 6. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Kinderschutz Medizin – kurz: ÖGKiM – statt. Ausgerichtet wurde die jährlich stattfindende Tagung heuer von einem Team der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am LKH Feldkirch rund um Primar Univ.-Prof. Dr. Burkhard Simma sowie der Klinischen- und Gesundheitspsychologin Mag. Carmen Stark. Rund 150 Interessierte haben teilgenommen.
Um einen fachlich fundierten Umgang mit Verdachtsmomenten einer Kindeswohlgefährdung zu gewährleisten, ist ein entsprechend geschultes, multiprofessionelles Team wesentlich. Unter diesem Aspekt wirkt am LKH Feldkirch seit 25 Jahren eine eigene „Kinderschutzgruppe“. Wie wichtig eine gut abgestimmte Zusammenarbeit der unterschiedlichen Berufsgruppen ist, spiegelte auch das diesjährige Tagungsprogramm der ÖGKiM wider – die jeweiligen Blickwinkel der einzelnen Vortragenden machten die Komplexität der Thematik deutlich. In der klinischen Arbeit stehen die Fachkräfte vor vielfältigen Herausforderungen: Trotz der bereits etablierten Möglichkeiten einer Erstintervention kann mitunter ein Gefühl von Ohnmacht entstehen. Diese Dynamik haben die Expert:innen bei der 6. Jahrestagung aufgegriffen. Das Tagungsprogramm stand daher unter dem Titel:
„Zwischen Macht und Ohnmacht – Herausforderungen im medizinischen Kinderschutz“
Die Einrichtung einer Kinderschutzgruppe im Krankenhaus ist – abhängig von verschiedenen Kriterien – gesetzlich verpflichtend. Im Einsatz sind in dieser Kinderschutzgruppe multidisziplinäre Teams aus Kinderärzt:innen, Kinderchirurg:innen, klinischen Psycholog:innen, Pflegefachkräften, klinischen Sozialarbeiter:innen; Pädagog:innen und – je nach individueller Situation – auch aus anderen Fachpersonen.
Die Aufgabe einer Kinderschutzgruppe ist die Früherkennung unter anderem von psychischer und physischer Gewalt an und Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen sowie die Sensibilisierung der in Betracht kommenden Berufsgruppen für Verdachtsmomente einer Kindeswohlgefährdung.
Eigene Stelle am LKH Feldkirch eingerichtet
Anfang 2023 ist eine eigene Stelle im LKH Feldkirch eingerichtet worden, die dezidiert mit den Agenden der Kinderschutzgruppe betraut ist: Seither laufen bei der Klinischen- und Gesundheitspsychologin Mag. Carmen Stark alle wichtigen Fäden zusammen. Besteht im Krankenhaus bei der Behandlung eines Kindes oder einer/eines Jugendlichen der Verdacht einer Kindeswohlgefährdung, wird die Kinderschutzgruppe verständigt. Dann werden weitere Schritte entschieden.
Im Jahr 2023 haben die Expert:innen allein am LKH Feldkirch bei 54 Kindern und Jugendlichen den dringenden Verdacht einer Kindeswohlgefährdung abgeklärt. Seit ein paar Jahren ist diese Zahl im Steigen begriffen (zum Vergleich: im Jahr 2018 waren es am LKH Feldkirch 28 Abklärungen).
Strukturierten Ablauf in der Abklärung
Die Kinderschutzgruppe am LKH Feldkirch ist im Jahr 1999 offiziell gegründet worden. Seitdem übernehmen die Expert:innen den Auftrag, Gewalt, Misshandlung, sexuellen Missbrauch und Vernachlässigung an Kindern und Jugendlichen zu erkennen und zu unterbrechen. Im klinischen Alltag sorgt sie für einen strukturierten Ablauf in der Abklärung und leitet gegebenenfalls notwendige erste Schutzmaßnahmen zur Sicherheit des Kindes bzw. der/des Jugendlichen ein. Damit verbunden ist auch eine stetige Vernetzungsarbeit mit Systempartnern.
Kinderschutz im klinischen Alltag aus Sicht der Kinderschutzgruppe bedeutet u.a.:
- Sich im Spannungsfeld zwischen den Fragen zu befinden, ob das Kindeswohl noch ausreichend gesichert ist oder ob der Verdacht einer Kindeswohlgefährdung vorliegt
- Eine Unfallverletzung von einer mutmaßlichen Gewalteinwirkung zu unterscheiden
- Eine somatische Erkrankung von Vernachlässigung zu unterscheiden
- Eltern gegenüber zu stehen, wenn im Raum steht, dass deren Baby / Kind misshandelt worden ist und die Schuldfrage noch nicht geklärt ist
- Bei Streitigkeiten unter Begleitpersonen zu deeskalieren und für Schutzmaßnahmen zu sorgen
- Kinder und Jugendliche stationär aufzunehmen, um ihren aktuellen Schutz zu sichern, ihnen das altersentsprechend zu erklären und sie im stationären Setting zu betreuen
- Sorge für Neugeborene zu tragen, bei denen eine „Gefahr im Verzug“-Maßnahme ausgesprochen wird
- Eltern zu erklären, dass der Verdacht einer Kindeswohlgefährdung bei ihrem Kind besteht und das Team verpflichtet ist, dies an die zuständige Behörde zu melden
- Vernetzungsarbeit mit der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe, der Polizei und Staatsanwaltschaft, der Kinder- und Jugendanwaltschaft sowie weiteren Systempartnern
Vernetzen und gegenseitiges Verstehen
„Die Themenbereiche der Tagung waren so gestaltet, dass sich sämtliche in den Kinderschutz involvierte Berufsgruppen wiederfinden sollten“, richtet Carmen Stark ihren Blick zurück auf das Programm der Tagung. „Die unterschiedlichen Blickwinkel und Sichtweisen innerhalb und außerhalb des Spitalsbereiches zu verstehen, hilft uns dabei, das gemeinsame Ziel – den Kinderschutz – weiter zu stärken. Nur gemeinsam können wir das beste Ergebnis erreichen.“ Diese verschiedenen Blickwinkel waren in den einzelnen Fachvorträgen daher so aufgearbeitet, dass sie auch für die Vertreter:innen aus den jeweils anderen Bereichen gut nachvollziehbar sind. Zudem haben wir darauf geachtet, dass vor allem jene Inhalte aufgegriffen werden, die in unserem Zusammenwirken Diskussionsbedarf ergeben haben“, erklärt Carmen Stark an. Denn es gilt, den Ablauf der gemeinsamen Arbeit im klinischen Alltag so reibungslos und effektiv wie möglich zu gestalten.
Vor allem die Ambivalenz zwischen der Kompetenz, Kindeswohlgefährdung zu erkennen und nicht sofort und aus der Situation heraus bestimmte Prozesse in Bewegung setzen zu können, soll beleuchtet werden: „Denn unsere Handlungskompetenz hat eben auch Grenzen. Aber wir können das Bestmögliche herausholen, wenn wir uns gegenseitig sehr gut verstehen, auch im Notfall dieselbe Sprache sprechen und an einem Strang ziehen. Dazu wollen wir kontinuierlich Lösungsansätze und -strategien erarbeiten“, erklärt die stellvertretende Leiterin der Kinderschutzgruppe das Motto der Jahrestagung. „Wenn wir es schaffen, dass die einzelnen Berufsgruppen noch mehr zusammenwachsen, haben wir bereits viel erreicht“, ist sich Carmen Stark sicher.
Weitere Details und Tagungsprogramm
„Österreichische Gesellschaft für Kinderschutz Medizin (ÖGKiM)“:
Der Verein „Österreichische Gesellschaft für Kinderschutz Medizin (ÖGKiM)“ ist eine Dachorganisation und vereint die österreichischen Kinderschutzgruppen. ÖGKiM hat den Sitz in Wien an der Kinderklinik, das Präsidium setzt sich aus sieben Vertreter:innen der Bundesländer und der im Kinderschutz vertretenen Gesundheitsberufsgruppen zusammen. Der Vorstand der ÖGKiM besteht aus je zwei Vertreter:innen der Kinderschutzgruppen aus jedem Bundesland. Die Tätigkeiten erstrecken sich auf ganz Österreich.
Homepage ÖGKiM: https://www.oegkim.at/
WEITERE NEWS finden Sie hier: www.landeskrankenhaus.at/news