"Ich erinnere mich nicht. Warum bin ich hier?" 23.10.2018
Vlbg. Landeskrankenhäuser: Maßnahmen für kognitiv beeinträchtige oder demenzkranke Menschen im Akutspital
„Ich erinnere mich nicht. Ich habe Angst. Ich verstehe nicht. Warum bin ich hier? Ich möchte nach Hause…“ Das sind Sätze von Patienten mit kognitiver Beeinträchtigung oder Demenzerkrankung im Krankenhaus. Das Thema stellt nicht nur Angehörige, sondern auch Pflege und Ärzteschaft in Krankenhäusern vor Herausforderungen. Laut Studien leiden rund 31% der über 85jährigen Patienten im Akutkrankenhaus an Demenz - nicht immer ist diese diagnostiziert, meistens ist die zu behandelnde Grunderkrankung eine andere. Deshalb hat die Krankenhaus-Betriebsgesellschaft gemeinsam mit LR Christian Bernhard mit Beginn 2018 eine Initiative der Bewusstseinsbildung gestartet, mit praktischen Maßnahmen als Hilfestellung für medizinisches Personal. Heute fand ein Symposium für alle LKH-Mitarbeiter mit namhaften Referenten statt. Präsentiert wurde u.a. ein Informationsleitfaden als Hilfestellung im Umgang mit kognitiv beeinträchtigen oder demenzkranken Menschen.
Demenz ist eine Erkrankung vor allem des höheren Lebensalters und betrifft mittlerweile aufgrund der demographischen Entwicklung über 100.000 Menschen in Österreich. Laut Studien leiden etwa 31% der über 85-jährigen Patienten in Akutkrankenhäusern an einer Demenz. Betroffene kommen meist aufgrund anderer Grunderkrankungen (z.B. mit Sturzverletzungen oder Lungenentzündung) ins Spital, Demenz als Hauptdiagnose ist selten bzw. kommt bei Patienten der entsprechenden medizinischen Abteilung, z.B. der Gerontopsychiatrie, vor. Das heißt, dass ein demenzieller Zustand vorhanden sein mag, aber nicht der Grund für den Spitalsaufenthalt darstellt. Die Behandlung dieser beeinträchtigten Patienten mit besonderen Bedürfnissen stellt auch medizinisches Personal vor Herausforderungen. LR Christian Bernhard, der entsprechende Maßnahmen in den LKH sehr unterstützt, führte beim Symposium aus: „Krankenhausaufenthalte bedeuten immer einen Ausnahmezustand, sind nicht nur, aber für Menschen mit kognitiven und dementiellen Beeinträchtigungen und deren Angehörigen ganz speziell eine Herausforderung. Die ungewohnte Umgebung, das nicht Wissen und nicht Verstehen, was mit einem geschieht, fördern Stress, Unruhe und oftmals auch Angst. Um dem weitestgehend entgegen zu wirken, bedarf es Rahmenbedingungen, die von Mitarbeitersensibilisierung über angemessene interprofessionelle Behandlung und Pflege bis hin zur Optimierung von Überleitungsprozessen reichen. Allem voran gestellt gilt es, die Mitarbeitenden in den Krankenhäusern für gerade diese Patientengruppe mit ihren besonderen Bedürfnissen zu qualifizieren und zu unterstützen.“
Reagieren auf (demographische) Entwicklungen - Hilfestellung für Mitarbeiter
„Auch unter den Patienten in den Landeskrankenhäusern als Reflexion auf die Gesellschaft sind Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung oder Demenzerkrankungen. Jede Pflegeperson, jede Ärztin oder Arzt trifft im Arbeitsalltag auf dieses Patientenklientel mit speziellen Bedürfnissen. Diese Patienten erfordern ganz besonderes Feingefühl, Geschick und noch mehr Einfühlungsvermögen als sonst. Wir möchten unsere Mitarbeiter mit dieser Aufgabe nicht alleine lassen und haben Anfang des Jahres den Themenschwerpunkt „Demenz“ in unsere Agenda aufgenommen“, informierte Dir. Dr. Gerald Fleisch, Geschäftsführer der Vlbg. Krankenhaus-Betriebsges.m.b.H., bei der Veranstaltung. Vor dem Start des Projekts „Demenz im Akutkrankenhaus“ wurden allgemeine Handlungsfelder festgelegt: Mitarbeiter zu sensibilisieren und zu befähigen, demenzkranken Patienten professionell zu begegnen, betroffene Patientinnen und Patienten frühestmöglich zu erkennen und deren individuelle Risiken angemessen zu berücksichtigen, die Behandlung, Pflege und Betreuung der Demenzerkrankten angemessen, interprofessionell zu gestalten und Überleitungsprozesse durch Zusammenarbeit und Vernetzung zu optimieren. Danach wurden und werden laufend konkrete Maßnahmen gesetzt: Eine Arbeitsgruppe wurde etabliert und das LKH Bludenz als Pilotkrankenhaus bestimmt, um Verbesserungsmaßnahmen zu erarbeiten und umzusetzen. Nach entsprechender Evaluation werden diese dann auch in den anderen LKH als Hilfestellungen dienen.
Am LKH Bludenz haben bereits 2 Pflegeexpertinnen die Ausbildung zur sog. „Demenz-Nurse“ absolviert, eine weitere ist geplant. In anderen LKH absolvieren Mitarbeiter z.B. Ausbildungen in gerontopsychiatrischer Pflege oder besuchen einschlägige Fortbildungen zum Thema. Zudem werden Angehörige als Betreuungsunterstützer miteingebunden - z.B. in Form großzügiger Begleit- und Besuchsmöglichkeiten auch außerhalb der regulären Besuchszeiten. Als wichtiges Instrument zur Kommunikationsunterstützung bei Patienten mit kognitiven Einschränkungen und Demenz gilt auch der Krankenhauspass. Das Symposium mit namhaften Referenten ist ein weiterer Meilenstein an Information für der Mitarbeiter.
Informationsleitfaden „Leben mit Demenz“
„Nur wenn wir die Ursachen verstehen, sind wir in der Lage, entsprechend zu handeln. Patienten mit Demenz sind oft unfähig, ihre Bedürfnisse, Ängste oder Gedanken zu kommunizieren. Es liegt also an Ihnen, vieles zu erahnen bzw. vorbereitet zu sein, was auf Sie zukommen kann. Wir hoffen, dass Ihnen diese Broschüre dabei hilft“, so lautet das Vorwort eines innerhalb der LKH gemeinsam erarbeiteten Informationsleitfadens. Er dient als Verankerung eines sensiblen Umgangs mit Menschen bei kognitiven Einschränkungen und Demenz im Betreuungsalltag der Landeskrankenhäuser. In einer ansprechenden Broschüre erhalten LKH-Mitarbeiter hilfreiche und ganz konkrete Informationen und Checklisten, etwa zum Erkennen von möglichen Anzeichen für Beeinträchtigungen oder Demenzerkrankungen, mit Ratschlägen zur richtigen Kommunikation, mit allgemeinen Tipps für den Umgang, bis hin zum Entlassungsmanagement und sogar Literaturtipps. Die Broschüre wird ab Ende Oktober in den LKH für Mitarbeitende aufgelegt und im Intranet zum Download veröffentlicht.
Symposium für alle LKH-Mitarbeitenden
Ein weiterer Meilenstein der Maßnahmen rund um das Thema „Umgang mit kognitive beeinträchtigen oder demenzkranken Menschen“ war ein Symposium für alle LKH Mitarbeitenden. Eingeladen waren namhafte Redner, alle Experten in ihrem Bereich: Pflegedirektor Erich Gantner berichtete über Erfahrungen mit konkreten Maßnahmen und Hilfsmitteln für das betroffene Patientenklientel im LKH Bludenz, die direkt auf den Stationen zur Anwendung und Hilfestellung für die Pflege im Umgang mit den Patienten ausprobiert und evaluiert wurden - und auch auf den Stationen in den Landeskrankenhäusern helfen können. Prim. Dr. Reinhard Bacher ist Leiter der Gerontopsychiatrie am LKH Rankweil. Er informierte über kognitive Beeinträchtigungen aus medizinischer Sicht. Gastrednerin war Frau Prof. Dr. Margit Schäfer, FH-Lektorin und Pflegeexpertin in Tirol. Sie referierte darüber, was Empathie heißt, warum diese gerade im Umgang mit beeinträchtigen Menschen im Krankenhaus hilft und wie diese erfolgreich gelingen kann. Den Abschluss bildete ein Betroffenenbericht - allerdings von einem, der selbst Pflegeexperte ist: Der ehemalige Pflegedirektor des LKH Rankweil, Norbert Schnetzer, berichtete von persönlichen Erfahrungen im eigenen Umfeld - und dem Umgang mit dem Thema.
Zahlen Daten Fakten
Maßnahmen 2018„Bewusstseinsbildung im Umgang mit Demenz in den Landeskrankenhäusern“
- Nominierung des LKH Bludenz als Pilotkrankenhaus und Etablierung einer Arbeitsgruppe zur Erarbeitung und Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen
- Ausbildung von Pflegeexperten (Demenz-Nurses)
- Ständiges Weiterbildungsangebot für Pflege und Ärzte zum Thema kognitive Einschränkungen und Demenz
- Verbreitung des Krankenhauspasses als Instrument zur Kommunikationsunterstützung, auch bei Patienten mit kognitiven Einschränkungen und Demenz
- Großzügige Begleit- und Besuchsmöglichkeiten für Angehörige - auch außerhalb der regulären Besuchszeiten - für die Betreuungsunterstützung
- Vorhalten und Verteilen der Informationsbroschüren „Leben mit Demenz“ der Aktion Demenz
- Verankerung des Leitfaden für einen sensiblen Umgang mit Menschen bei kognitiven Einschränkungen und Demenz im Betreuungsalltag der Landeskrankenhäuser
- Projekte „Geriatrisches Konsilium im Akutkrankenhaus“ und „Rapid Recovery“ im LKH Feldkirch
- Ergänzung der Ausstattung mit Pflegehilfsmitteln zur Betreuung von Demenzkranken
- Ca. 55 Jahre à Durchschnittsalter aller Patienten in den LKH
- ~ 14% der Patienten sind über 80 Jahre alt (M: 42,68 %, W: 57,32 %)
Allgemeine Zahlen
- Genaue Zahlen gibt es nicht, alles sind nur Schätzungen: für Gesamtösterreich dzt. ca. 100.000 - 110.000 Betroffene, in Vorarlberg ca. 5000 - 6000 Erkrankte in den nächsten Jahren allerdings noch steigend, für Gesamtösterreich bis 2050 über 200.000 Betroffene.
- Demenzerkrankungen nehmen ab dem 60zigsten Lebensjahr von 0,5% - 35% bei 90-Jährigen zu, ab dem 65. Lebensjahr aufwärts sind insgesamt ca.7% betroffen.
- 31% der über 85-jährigen, die an ein Akutspital zugewiesen werden, leiden an einer Demenz.
- Es sind mehr Frauen betroffen, da sie älter werden (Verhältnis von ca. 1:2 bis1:3).
- Der Verlauf einer Demenz kann 10 - 12 Jahre dauern.
- 80% der Demenzkranken werden noch zu Hause betreut, weitere Entwicklung diesbezgl. unklar (Pflegeregress, Singlehaushalte...).
- In Österreich wird jährlich etwa eine Milliarde Euro für die Versorgung Demenzkranker ausgegeben (75% nicht-medizinische-, 25% medizinische- und 6% Medikamentenkosten).