Corona geht auch der Seele an die Nieren 06.09.2021
Es war vielleicht nicht so rasch und spektakulär sichtbar. Und doch hat sich im Lauf der Monate nach Bekanntwerden von SARS-CoV-2 deutlich gezeigt: Die Pandemie mit all den Schutzmaßnahmen und gesellschaftlichen Einschränkungen kann sich auf die seelische Gesundheit auswirken und den Menschen psychisch belasten. Besonders herausfordernd ist das für jene, deren Sozialkontakte durch eine Krankheit ohnehin stark eingeschränkt sind. Wie etwa bei Dialysepatient:innen, die aufgrund einer Nierenfunktionsschwäche regelmäßig zur Blutwäsche gehen müssen. Das Team der Abteilung Innere Medizin 3 (Nephrologie und Dialyse) am Landeskrankenhaus Feldkirch wollte es genauer wissen und hat in einer eigenen Studie nachgeforscht, ob und wie sehr die Pandemie Vorarlbergs Dialysepatient:innen nicht nur körperlich, sondern auch emotional belastet. Und die Ergebnisse machen einmal mehr deutlich, wie wertvoll neben der medizinisch-fachlichen auch die menschlich-emotionale Seite in der Betreuung von Patient:innen ist:
Im Durchschnitt werden in Vorarlberg rund 200 Menschen in den drei Dialysestationen des Landes behandelt: In Nenzing und Bregenz befinden sich zwei private Außenstellen, die von den Spezialist:innen des Referenzzentrums am LKH Feldkirch mitbetreut werden. Die Patient:innen kommen drei Mal in der Woche für jeweils vier Stunden: „Bei der Dialyse wird eine Teilmenge des Blutes aus dem Körper geleitet“, erklärt Oberarzt Dr. Emanuel Zitt. „Über einen Filter werden Giftstoffe, die normalerweise über die Nieren ausgeschieden werden, ausgewaschen. Das gereinigte Blut wird wieder zurückgeleitet.“ Gesunde Nieren vollziehen diesen maschinell nachgemachten Schritt mit jedem Herzschlag. „Zu 100 Prozent ersetzen kann man den natürlichen Vorgang nicht, aber man kann gut damit leben. Es ist eine Prozedur, die dem einzelnen viel abverlangt. Nicht nur in Zeiten der Pandemie.“
Isolation unmöglich
Dialysepatient:innen sind Corona-Hochrisikopatient:innen. „Aus den europäischen Registerdaten und den ersten Berichten aus Großbritannien haben wir früh gewusst: Menschen mit Nierenerkrankungen - besonders Transplantierte und Dialysepatient:innen – tragen das höchste Risiko, bei einer Infektion schwer zu erkranken. Und: Der Funktionszustand des Immunsystems bei SARS-CoV-2 spielt eine Rolle“, erinnert sich Dr. Zitt. Die Immunabwehr bei Dialysepatient:innen ist geschwächt. Dazu kam, dass eine völlige Isolation während eines Lockdowns unmöglich ist: „Die Dialyse ist für unsere Patient:innen ein Muss. Sie müssen aufgrund dieser lebensnotwenigen Behandlung Kontakt mit anderen Menschen haben“, betont der Facharzt. Aufklärung ist umso wichtiger. Das Team der Nephrologie geht aktiv auf die Betroffenen zu, spricht über Risiken und sorgt für zusätzlichen Schutz: „Neben den allgemeinen Maßnahmen haben wir in den Hochphasen der Pandemie beispielsweise bei den Sammel-Taxifahrten nur mehr zwei statt wie bisher sechs Personen zugelassen. Das hat bestens funktioniert.“
Der Mensch dahinter
Dennoch: Neben all dem Wissen um Risiko und Schutz sind dem Team in Feldkirch wichtige Aspekte in der medialen und wissenschaftlichen Information zu kurz gekommen: „Es ging kaum darum, wie die Patient:innen damit zurechtkommen“, kritisiert Emanuel Zitt. „Dieses Thema ist lange zu wenig zur Sprache gekommen. Infektionszahlen, Inzidenzen, Beatmungsplätze. Kaum jemand hat berichtet, wie der Mensch dahinter das alles verkraftet. Deshalb haben wir nachgefragt.“ In wissenschaftlichem Arbeiten ist der Mediziner erprobt, bringt Erfahrung als Studienautor mit. Heuer hat er – zusätzlich zu seiner Österreichischen Ausbildung – auch die europäische Facharztprüfung für Nephrologie erfolgreich absolviert. „Für unsere kleine Studie über die Auswirkungen der Pandemie auf die Gefühls- und Alltagswelt unserer Dialysepatient:innen hat unser Team einen Fragebogen mit 22 Fragen erarbeitet. Wichtig war uns ein Sichtwechsel weg von organischen Folgen hin zu psychischen Belastungen.“ Die Auswertung der knapp 150 ausgefüllten Fragebogen hat auch bei internationalen Fachmagazinen Interesse geweckt.
Viele Sorgen, aber kaum Panik
Die Quintessenz: Vorarlbergs Dialysepatient:innen haben sich kaum von Hysterie und Panik anstecken lassen: „Die Gelassenheit führen wir auf eine Mischung aus Alter, Lebenserfahrung und dem Gefühl, gut aufgehoben zu sein, zurück“, bilanziert Dr. Zitt. „Die Patient:innen haben sich zwar Sorgen über eine mögliche Infektion gemacht, aber nur ein Drittel hat es als einschneidende, zusätzliche Belastung empfunden.“ Die Menschen haben die Dialyse während der Pandemie sogar als Abwechslung erlebt, als Möglichkeit, den eigenen vier Wänden zu entfliehen: „In Zeiten, in denen so viele Sozialkontakte weggebrochen sind, war für viele der Austausch bei der Dialyse wohltuend. Das untermauert, dass vor allem das Pflege-, aber auch das ärztliche Team einiges richtig gemacht hat. Wir sind wichtige Ansprechpartner“, freut sich der Mediziner, „- nicht nur für die körperliche Therapie, sondern auch für die seelische Unterstützung. Das nehmen wir für die Zukunft gerne mit!“ Auch Mitpatient:innen haben laut Studie eine bedeutende Rolle gespielt. „Die Dialyse ist eine wichtige Komponente im Leben dieser Menschen - ein lebenswichtiger Teil, der sogar bereichernd sein kann.“ Die teils strengen Sicherheitsauflagen auf der Dialysestation wurden von den Patient:innen als sehr positiv betrachtet und mitgetragen.
Gute Antikörperantwort
Per August 2021 sind in Vorarlberg 33 Dialysepatient:innen an Corona erkrankt, vier sind verstorben. Vollständig Geimpfte sind nicht erkrankt. Die Dialysepatient:innen haben auf den mRNA-Impfstoff sehr gut angesprochen: „Normalerweise ist die Reaktion unserer Patient:innen auf Impfungen gering. Die Immunabwehr ist ja eingeschränkt.“ Die Antikörperantwort auf die Corona-Impfung hingegen ist laut Emanuel Zitt sehr gut ausgefallen: 98 Prozent - also so gut wie alle - haben mit Antikörpern reagiert, wie die nephrologische Arbeitsgruppe ebenfalls unlängst publiziert hat. Zum Vergleich: Bei einer Hepatitis B-Impfung sind es etwa 50 bis 60 Prozent. Das Prinzip des mRNA-Impfstoffes regt das Immunsystem stärker an, das gilt bereits als gesichert. „Das macht Hoffnung. Impfstoffe auf dieser Basis auch gegen andere Krankheiten wäre eine Erleichterung für all jene, deren Immunsystem einen stärkeren Anreiz braucht, um Viren abzuwehren“, ist sich Dr. Emanuel Zitt sicher.
Die Originalstudien zum Nachlesen: